<174> den Augen dessen, der durch ein Wort die Welt aus dem Nichts hob, der durch einen Akt seines Willens das Wasser von der Erde und das Licht von der Finsternis schied und Menschen und Tiere schuf, — vor den Augen dieses höchsten, allmächtigen Wesens, meine Brüder, sind alle Menschen gleich. Güter, Würden, Ehren, alles, was sie in diesem Erdenleben unterscheidet, bilden keinen Unterschied vor Dem, der uns alle gleich geschaffen hat. Aus seiner Schöpferhand ging der Bauer wie der König hervor. Alle Stände, von der Schnürsohle des Mönchs bis zur Papstkrone,vom Zepter bis zum Schäferstab, macht der Tod gleich. Sie sind vor Gott allzumal Sünder und bedürfen seines Erbarmens. Nicht Ämter und Würden, sondern die Tugend unsres Wandels bestimmt unser Schicksal nach dem Tode. Erwartet von mir also nichts, was dem Stolz oder Ehrgeiz durch Schilderung weltlicher Eitelkeiten schmeichelt. Im Gegenteil! Ich will Euch beweisen, daß man durch Mäßigkeit auch in Armut reich, durch wackern Mut unverzagt in der Arbeit, daß man dem Vaterland durch seine Verdienste auch ohne Amt nützlich und ohne Glücksgüter groß durch seine Tugend sein kann. Möge man die Götzen beweihräuchern, die nur von Lobreden leben; mögen feile Zungen sich durch Niedertracht den Weg zum Erfolg bahnen; möge man die Namen der Großen dieser Welt feiern, die Vergessenheit verdienten, und sie ehren, nur weil sie mächtig sind! Ich für mein Teil beschränke mich darauf, den Herzenseigenschaften, den Bürgertugenden, der Pflichttreue und dem christlichen Wandel gebührendes Lob zu spenden. Weit von dieser Kanzel weise ich die arglistige Geschicklichkeit der Betrüger, die die Wahrheit durch allerlei Schönfärberei verhüllen, weil sie sie nicht zu offenbaren wagen. Weit von mir weise ich jene Kunstgriffe, mit denen man die Mißgestalt verdeckt, die man offen zu zeigen fürchtet! Ich habe nicht von einem Manne zu reden, der nur zum Genuß auf der Welt zu sein glaubte, der seine Pflichten aus Trägheit versäumte, seine Freunde aus Fühllosigkeit und sein Vaterland aus Selbstsucht vernachlässigte, sondern von einem Bürger, dessen stets gleichmäßige Seele ohne Wanken auf dem Wege der Tugend fortschritt. Eine lautere, aller Kunst und Schmeichelei bare Huldigung bringe ich dem Andenken des Herrn Jakob Mathias Reinhart, Schustermeisiers dieser Stadt, dar.

Verscheucht, meine Brüder, die nichtigen und so ungerechten Vorurteile, die Ausgeburten der Weichlichkeit und des Stolzes, die vorgefaßten Meinungen von Adel, Rang und Größe, derenthalben man alles verachtet, was in den Augen der Welt nicht glänzend ist, und Geringschätzung für die hegt, deren Herkunft nicht durch berühmte Namen und eine Reihe großer Männer ausgezeichnet ist. Bedenkt, daß die Tugend nicht sowohl in den Palästen der Reichen als in den Hütten der Armen zu Hause ist. Möge Eure Vernunft über die Trugbilder der Gewohnheit siegen. Möge Euer kluger und gelehriger Geist mehr nach Tatsachen, als nach Namen urteilen!

Ich brauche nicht in trocknen, verstaubten Chroniken zu stöbern, um Euch zu sagen, wer Mathias Reinharts Familie und Voreltern waren. Genug, wenn Ihr wißt, daß er von rechtschaffnen Eltern stammte. Sorgfältig pflegten sie die glückliche Anlage,