<159> dann in diesen Tagen, da Ihr die Gnade noch zu erlangen vermöget, in diesen Zeiten der Prüfung so große Güter mißachten? Welcher menschliche Geist ist so leichtfertig und seicht, daß er den Unterschied zwischen vergänglichem und ewigem Glück nicht ermessen könnte? Wenn in nächtlicher Finsternis eine Feuersbrunst in unsren Städten ausbricht und der Sturm die geftäßigen Flammen rasch weitertreibt, wenn die rasende Glut rasch von einem Stadtviertel zum andren überspringt und Häuser und Gebäude einstürzen, wer unter Euch dankte dann nicht dem Unbekannten, der ihn weckte und zu ihm spräche: „Das Nachbarhaus brennt. Rette dich, solange es noch Zeit ist, oder die Flammen werden deine Wohnung ergreifen und du wirst vielleicht in ihnen umkommen, bevor du Zeit zum Entrinnen hast.“ Würdet Ihr nicht flugs Eure Wohnung verlassen und Euer Kostbarstes mitnehmen? Ach! Ihr schlaffen Christen, die Ihr Euren Geist an den toten Stoff hängt, die Ihr Euch an irdischen und vergänglichen Dingen genügen laßt: — wenn schon die Furcht, Eure Habe zu verlieren, wenn schon das Verlangen, ein Leben zu retten, das dem Tode verfallen ist und bleibt, Euch so viel Tatkraft verleiht, wenn Ihr dem, der Euch aus der dräuenden Gefahr riß, Dank wißt, — was sollt Ihr dann erst tun, wenn ich Euch von dieser Kanzel verkünde, nicht daß Euer Haus brennt noch daß Euer Leben gefährdet ist, wohl aber, daß Ihr ewig brennen werdet und daß Ihr Euch in ewiges Unglück stürzt, daß die Gefahr, die Euch droht, Euch in jedem Augenblick verschlingen kann? Rettet Euch, nicht aus diesem steinernen Hause, das Euch beherbergt, wohl aber aus den Sünden, die Euch in harter Knechtschaft halten! Rettet Euch aus dieser Welt des Verderbens, in die Euch lasterhafte Gewohnheiten und schlechtes Beispiel ziehen! Rettet Euch aus den Klauen des Bösen, der Euch knebeln und dem Verderben überantworten mill! Noch ist es Zeit. Aber vielleicht schon vor Ablauf des Jahres, wohl gar schon vor Schluß dieser Woche, ja was sage ich, vielleicht noch vor Ende dieses Tages wird der Tod, der über Eurem Haupte hängt, auf Euch niederfallen. Erhofft Euch keine Gnade von schwacher und später Buße! Wähnt nicht, die Zerknirschung, die Euch die Furcht abpreßt oder die Ihr dem Brauche bewilligt, genüge, um Eure Schlechtigkeit auszulöschen! Wißt Ihr denn, in welcher Gestalt der Tod Euch nahen wird? Wer sieht Euch dafür, ob Euer Geist in der Todesstunde nicht verwirrt oder völlig entschwunden sein wird, ob Ihr dann noch die Zeit habt, Euch mit dem Höchsten zu versöhnen, den Ihr zeitlebens so halsstarrig gekränkt habt? Welcher Gefahr setzest Du Dich aus, Du törichter Sterblicher! Wie kannst Du es wagen, für die vergänglichen Freuden oder die gewohnten Lasier eines vergänglichen Lebens das ewige Glück Deiner unsterblichen Seele preiszugeben? Wie kann Dich das Böse derart verblenden, daß Du Deinen wahren, dauernden VorteU nicht erkennst? Spricht man Dir von Dingen dieser Welt, die Dir naheliegen, dann scheint Deine Vernunft sich zu erhellen. Spricht man Dir aber von den himmlischen Dingen, die Dein Schicksal für ewig besiegeln, so scheint Dein Verstand Dich zu verlassen und in Stumpfheit und Taumel herabzusinken.