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„Nicht auf einmal“, erwiderte der Portugiese. „Anfangs war die Religion einfach. Die Bonzen hatten geringe Macht, und die Tugenden strahlten. Doch mit der Zeit haben Lasier und Aberglauben immer mehr zugenommen. Sie haben Bonzenversammlungen, sogenannte Konzile, abgehalten, und jedes Konzil hat einen neuen Glaubensartikel hinzugefügt. Es gibt keinen Widersinn, der den Vätern auf den Konzilen nicht durch den Kopf gegangen wäre. Zu der Zeit, da die Macht des Lama ihren Gipfel erreicht hatte, wäre auf ein Haar eine Jungfrau, die sie die Mutter Gottes nennen, zur Göttin und vierten Person der Dreieinigkeit erhoben worden1. Aber da sieht ein Bonze in Deutschland gegen den Lama auf, öffnet den Völkern und Fürsten die Augen über ihre blöde Leichtgläubigkeit und gründet eine starke Partei von Widersachern dieser sogenannten Katholiken. Der Lama und seine Ratgeber, die Krebse, wie Sie sie nennen, begriffen, daß dies nicht der rechte Augenblick war, um den Aberglauben zu mehren. Sie machten aus der Jungfrau, soviel sie konnten, und ließen es bei der kräftigen Verteidigung der alten Glaubenssätze bewenden. Immerhin haben die Bonzen seitdem auf eine große Zahl von Wundern verzichten müssen, die sie vormals vollbrachten, durch die sie sich aber lächerlich machen würden, wenn sie damit wieder anfingen. Sie treiben zwar noch hin und wieder böse Geister aus, aber hauptsächlich, um nicht ganz aus der Übung zu kommen; denn die Wirkung ist nicht mehr die gleiche wie einst. Daher auch der wilde Haß zwischen den Bekennt, nissen, obwohl alle Christen sind. Nie verzeihen die Bonzen den Ketzern ihre Einbuße an fetten Einkünften und Bistümern. Vor allem betrachten sie jene als lästige Aufseher, die sie zwingen, gescheiter zu sein, als sie möchten. Und so haben sie denn auch seit jenem Schisma nicht den kleinsten neuen Aberglauben einzuführen gewagt. Sie sehen sie darob in Verzweiflung, und es fällt ihnen schwer, das Volk in seiner Leichtgläubigkeit zu erhalten.“

Mittlerweile kam ein Bonze und sagte meinem Portugiesen, daß der große Lama ihn riefe. Wir trennten uns. Er begab sich zu dem Oberpriesier, und ich ging in Gedanken noch einmal all die außerordentlichen Dinge durch, um sie Dir zu vermelden.

5. Brief.

Am nächsten Tage kam mein Portugiese frühmorgens wieder zu mir. Wie er mir sagte, hatte der Lama ihn hart angefahren. Der wetterte noch immer gegen seinen Herrn, weil er die tückischen Bonzen aus seinen Staaten vertrieben hatte. „Er möchte,“ sagte er, „daß sich die Könige demütig von jenen tonsurierten Schurken abmeucheln lassen, wie das liebe Federvieh. Ich sprach ganz unverblümt. Jeder andre wäre schamrot geworden ob des schmählichen Schutzes, den er jenen Ver-“


1 Auf dem Konzil in Trient. Vgl. S. 110.