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Kritik des „Systems der Natur“ (1770)

Das „System der Natur“ gehört zu den Werken, die beim ersten Lesen bestechen und deren Fehler man, da sie mit viel Kunst verhüllt sind, erst nach mehrfachem Wiederlesen entdeckt. Der Verfasser verstand es geschickt, bei seinen Lehrsätzen die Folgerungen zu übergehen, um die nachprüfenden Kritiker irrezuführen. Doch ist die Täuschung nicht allzu stark. Man merkt recht wohl die Folgewidrigkeiten und Widersprüche, in die er oft verfällt, und die seinem System entgegengesetzten Zugeständnisse, die ihm anscheinend von der Macht der Wahrheit entrissen werden.

Die metaphysischen Fragen, die er behandelt, sind dunkel und strotzen von Schwierigkeiten ärgster Art. Selbsttäuschung ist ja verzeihlich, wenn man sich in ein Labyrinth begibt, worin schon so viele sich verirrten. Es scheint aber, daß man diese finstere Straße mit geringerer Gefahr durchschreiten kann, wenn man der eigenen Einsicht mißtraut, wenn man sich erinnert, daß die Erfahrung bei solchen Untersuchungen nicht als Führer zu gebrauchen ist und uns nur mehr oder minder starke Wahrscheinlichkeiten bleiben, um unsere Meinungen zu stützen. Diese Erwägung sollte genügen, um jedem Philosophen, der ein System aufstellen will, Zurückhaltung und Bescheidenheit einzuflößen. Unser Autor hat offenbar nicht so gedacht, da er sich rühmt, ein Dogmatiker zu sein.

Die Hauptpunkte, die er in seinem Werk behandelt, sind: erstens Gott und die Natur, zweitens die Fatalität, drittens die Moral der Religion im Vergleich zur Moral der Naturreligion, viertens die Herrscher als Ursachen allen Unglücks der Staaten.

Was den ersten Punkt betrifft, so ist man angesichts seiner Bedeutung ein wenig überrascht von den Gründen, die der Verfasser anführt, um die Gottheit zu verneinen. Er sagt, es falle ihm nicht so schwer, eine blinde Materie anzunehmen, die durch die Bewegung zum Handeln gelangt, als seine Zuflucht bei einer intelligenten Urkraft zu suchen, die aus sich selber handelt. Als ob das, was er mit geringer Mühe einordnet, wahrer sei als das, was ohne Anstrengung nicht aufzuklären ist! Er gibt zu, daß die Empörung über die Religionsverfolgungen ihn zum Atheisten gemacht hat. Sind dies nun Gründe, die Anschauungen von Philosophen zu bestimmen: Trägheit und Leidenschaften? Ein so naives Eingeständnis kann in seinen Lesern nur Mißtrauen erwecken — wie soll man ihm Glauben schenken, wenn er sich durch so leicht<259>fertige Gründe leiten läßt? Ich vermute, unser Philosoph überläßt sich mitunter allzu gefällig seiner Einbildungskraft. Befremdet von den widerspruchsvollen Gottheitdefinitionen der Theologen, verwechselt er diese Definitionen, die dem gesunden Menschenverstand nicht standhalten, mit einer intelligenten Natur, die notwendigermaßen über der Erhaltung des Weltalls waltet. Die ganze Schöpfung beweist diese Intelligenz. Man braucht nur die Augen zu öffnen, um sich davon zu überzeugen. Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen, hervorgebracht von der Natur. Die Natur muß also unendlich intelligenter sein als er. Sonst müßte sie ihm ja Vorzüge mitgeteilt haben, die sie selber nicht besitzt. Das wäre ein Widerspruch in aller Form.

Wenn der Gedanke eine Folge unserer Organisation ist, so muß die Natur, da sie unvergleichlich reicher als der Mensch organisiert ist und er einen nicht wahrnehmbaren Teil des großen Alls bildet, sicherlich die Intelligenz im höchsten Grade der Vollkommenheit besitzen. Eine blinde Natur könnte mit Hilfe der Bewegung nur Verwirrung stiften. Da sie ohne Berechnung verfahren würde, könnte sie niemals bestimmte Ziele erreichen, noch solche Meisterwerke schassen, die der menschliche Scharfsinn im unendlich Kleinen wie im unendlich Großen bewundern muß. Die Ziele, welche die Natur sich in ihren Werken gesetzt hat, offenbaren sich so augenscheinlich, daß man gezwungen ist, eine selbstherrliche und überlegen intelligente Ursache anzuerkennen, die mit Notwendigkeit darüber waltet. Fasse ich den Menschen ins Auge, so sehe ich, daß er als schwächstes aller Lebewesen geboren wird, bar aller Schutz-und Trutzwaffen, unfähig, den Unbilden der Witterung zu widerstehen, unablässig der Gefahr ausgesetzt, von wilden Tieren zerrissen zu werden. Zum Ersatz für die Schwächen seines Körpers und zur Erhaltung der Art hat die Natur ihn reicher mit Intelligenz begabt als alle anderen Geschöpfe. Ein Vorzug, kraft dessen er sich auf künstlichem Wege das verschafft, was die Natur ihm sonst, scheint es, nicht vergönnte. Das allerniedrigste Lebewesen umschließt in seinem Körper ein Laboratorium, das kunstvoller hergestellt ist als das des geschicktesten Chemikers. Darm bereitet es die Säfte, die sein Wesen erneuern, sich seinen Bestandteilen einfügen und sein Dasein verlängern. Wie vermöchte diese wunderbare Organisation, die allem Lebendigen zu seiner Erhaltung so nötig ist, von einer vernunftlosen Ursache auszugehen, die ihre größten Wunder vollbrächte, ohne es wahrzunehmen? Soviel braucht es aber nicht einmal, um unsern Philosophen zu widerlegen und sein System zu stürzen. Das Auge einer Milbe, ein Grashalm reichen hin, ihm die Intelligenz ihres Urhebers zu beweisen.

Ich gehe noch weiter. Ich glaube sogar, wenn man wie er eine blinde erste Ursache annähme, könnte man ihm den Beweis liefern, daß dann die Fortpflanzung der Arten unsicher werden und, wie es der Zufall fügt, zu unterschiedlichen, absonderlichen Wesen entarten würde. Einzig die unwandelbaren Gesetze einer intelligenten Natur können also inmitten der zahllosen Erscheinungen die einzelnen Arten in ihrer vollen Reinheit erhalten. Vergebens sucht der Autor sich darüber hinwegzutäuschen.<260> Die Wahrheit ist stärker als er; sie zwingt ihn, zu sagen, daß die Natur in ihrer unermeßlichen Werkstatt die Stoffe sammelt, um neue Geschöpfe zu bilden. Sie setzt sich also einen Zweck; folglich ist sie intelligent. Wenn man nur irgend aufrichtig ist, kann man sich unmöglich dieser Wahrheit verschließen. Selbst die Einwände, die von dem physisch und moralisch Schlechten hergeleitet werden, vermöchten nicht sie umzustoßen: die Ewigkeit der Welt überwältigt dieses Hemmnis. Die Natur ist demnach unbestreitbar intelligent. Sie handelt immer im Einklang mit den ewigen Gesetzen der Schwere, der Bewegung, der Trägheit usw., die sie weder aufheben noch ändern kann. Wiewohl unsere Vernunft uns dieses Wesen nachweist, wiewohl wir etwas davon sehen und etliches von seiner Tätigkeit ahnen, werden wir es doch niemals genügend erkennen, um es zu definieren. Jeder Philosoph, der das von den Theologen geschaffene Phantom angreift, kämpft in Wirklichkeit gegen die Wolke des Ixion260-1. Er reicht nicht an jenes Wesen, dem das ganze Weltall zu Beweis und Zeugnis dient.

Man wird ohne Zweifel sehr erstaunt sein, daß ein so aufgeklärter Philosoph wie unser Autor sich einfallen läßt, die alten Irrtümer von einer künstlichen Zeugung zu verbreiten. Er zitiert Needham260-2, jenen englischen Arzt, der sich durch ein falsches Experiment irreführen ließ und glaubte, er habe Aale hergestellt. Wären derartige Vorgänge wahr, so könnten sie wohl mit dem Wirken einer blinden Natur übereinstimmen; allein sie sind durch alle Versuche Lügen gestraft worden. Sollte man es ferner wohl glauben, daß derselbe Autor eine allgemeine Sintflut annimmt? Eine Absurdität, ein Wunder, das bei einem Mathematiker nicht zulässig und mit seinem System auf keine Weise vereinbar ist. Sind die Wasser, die unseren Erdball überschwemmten, eigens dazu hervorgebracht worden? Was für gewaltige Massen mußten das sein, die höher als die höchsten Berge emporstiegen! Wurden sie dann in Nichts aufgelöst? Oder was wurde aus ihnen? Wie? er schließt die Augen, um nicht ein intelligentes Wesen zu sehen, das über das Weltall herrscht und von der ganzen Natur ihm verkündet wird, und dann glaubt er an das Wunder, das der Vernunft mehr widerstrebt als alle, die man je erdichtet hat? Ich gesiehe, daß ich es nicht fasse, wie so viel Widersprüche sich in einem philosophischen Kopf miteinander vertragen konnten und wie der Autor dessen nicht gewahr wurde, als er sein Werk verfaßte. Doch gehen wir weiter.

Er hat das System der Fatalität, wie Leibniz es darstellte und Wolffes erläuterte, beinahe buchstäblich abgeschrieben. Zur besseren Verständigung glaube ich, die Idee, die man mit dem Wort Freiheit verbindet, definieren zu sollen. Ich versiehe darunter jeden Akt unseres Willens, der aus diesem allein und ohne Zwang erfolgt. Man denke nicht, daß ich von diesem Grundbegriff aus beabsichtige, das System der Fatalität im allgemeinen und in jeder Einzelheit zu bekämpfen. Ich suche nur die Wahr<261>heit, ich achte sie, wo immer ich sie finde, und unterwerfe mich ihr, sobald man sie mir zeigt. Um die Frage richtig zu beurteUen, geben wir das Hauptargument des Verfassers wieder. All unsere Begriffe, sagt er, werden uns durch die Sinne zugeführt und sind eine Folge unserer Organisation; demnach sind all unsere Handlungen notwendig. Daß wir unseren Sinnen als unseren Organen alles verdanken, wird man ihm ohne weiteres zugeben. Der Autor sollte aber merken, daß die Begriffe, die wir empfangen, Anlaß zu neuen Kombinationen geben. Bei der ersten dieser Verrichtungen ist die Seele passiv, bei der zweiten aktiv. Erfindungsgabe und Einbildungskraft betätigen sich an den Objekten, welche die Sinne uns erkennen lehrten: als z. B. Newton die Geometrie lernte, verhielt sein Geist sich passiv; als er aber zu seinen staunenswerten Entdeckungen gelangte, war er mehr als tätig, er war schöpferisch. Im Menschen sind die verschiedenen Geisiesbetätigungen sehr wohl voneinander zu unterscheiden. Wo der äußere Antrieb vorherrscht, ist er Sklave, ganz frei dagegen, wo seine Einbildungskraft am Werk ist. Darm stimme ich also mit dem Verfasser überein, daß es eine gewisse Verkettung der Ursachen gibt, deren Einfluß auf den Menschen einwirkt und in wiederholter Wirkung Herr über ihn wird. Der Mensch empfängt mit der Geburt sein Temperament, seinen Charakter mit dem Keim seiner Fehler und Tugenden, sein zugemessen Teil Geist, das er weder verringern noch erweitern kann, Talente oder Genie, oder aber Schwerfälligkeit und Unfähigkeit. So oft wir uns vom Aufwallen unserer Leidenschaften fortreißen lassen, triumphiert die Fatalität siegreich über unsere Freiheit. So oft die Macht der Vernunft die Leidenschaften zügelt, trägt die Freiheit den Sieg davon.

Ist aber der Mensch nicht völlig frei, wenn man ihm verschiedenartige Entschließungen vorschlägt, die er prüft, zwischen denen er schwankt und über die er schließlich nach seiner Wahl entscheidet? Der Autor wird mir ohne Zweifel erwidern, die Notwendigkeit lenke diese Wahl. Ich glaube jedoch in dieser Antwort einen Mißbrauch des Ausdrucks Notwendigkeit zu erblicken, eine Verwechslung mit Ursache, Motiv, Grund. Ganz gewiß geschieht nichts ohne Ursache, aber nicht jede Ursache ist notwendig. Ganz gewiß entscheidet sich jeder Mensch, der nicht von Sinnen ist, nach Gründen, die von seiner Eigenliebe abhängen; er wäre nicht frei, ich wiederhole es, sondern wahnwitzig, wenn er anders handelte. Mit der Freiheit verhält es sich demnach ebenso wie mit Weisheit, Vernunft, Tugend, Gesundheit: der Sterbliche besitzt sie nicht unbeschränkt, sondern nur zuzeiten. In manchen Dingen stehen wir als der leidende Teil unter der Herrschaft der Fatalität, in anderen sind wir als Handelnde unabhängig und frei. Halten wir uns hierin an den Philosophen Locke. Er ist durchaus überzeugt, daß er bei verschlossener Tür nicht imstande ist, sich nach Belieben zu entfemen, daß er hingegen bei offener Tür die Freiheit hat, nach seinem Gutdünken zu handeln. Je mehr man dieser Materie auf den Grund zu kommen sucht, desto verwickelter wird sie. Mit allen Spitzfindigkeiten macht man sie am Ende nur so dunkel, daß man sich selbst nicht mehr zurechtfindet. Namentlich ist es für die Anhänger des Fatalismus un<262>angenehm, daß ihr tätiges Leben sich beständig in Widerspruch zu ihren theoretischen Grundanschauungen setzt.

Der Verfasser des „Systems der Natur“ hat zuvörderst alle Gründe, die sein Vorstellungsvermögen ihm lieferte, erschöpft, um zu beweisen, daß eine Schicksalsnotwendigkeit die Menschen bei allen Handlungen durchaus binde und leite. Daraus hätte er doch folgern müssen, daß wir nichts als eine Art von Maschinen oder, wenn man will, Marionetten seien, die durch eine blinde Triebkraft bewegt würden. Statt dessen eifert er gegen die Priester, gegen die Regierungen und die Erziehung. Er setzt also voraus, die Menschen, die diese Ämter innehaben, seien frei, während er ihnen doch beweist, daß sie Sklaven seien. Wie abgeschmackt, wie unvereinbar! Wird alles durch notwendige Ursachen bewegt, so werden Ratschläge, Unterweisungen, Gesetze, Strafen, Belohnungen überflüssig und unnütz. All das hieße nur, einem gefesselten Mann sagen: sprenge deine Ketten! Geradeso gut könnte man eine Eiche durch Predigen überreden wollen, sich in einen Orangenbaum zu verwandeln. Die Erfahrung bezeugt uns jedoch, daß es gelingen kann, Menschen zu bessern; also muß mit Notwendigkeit geschlossen werden, daß sie wenigstens teilweise der Freiheit genießen. Bleiben wir bei den Lehren dieser Erfahrung und lassen wir uns keinesfalls auf eine Weltanschauung ein, der wir ohne Unterlaß durch unsere Handlungen widersprechen.

Aus der Grundanschauung der Fatalität ergeben sich die unheilvollsten Folgen für die menschliche Gesellschaft. Hätte sie Geltung, so wären Mark Aurel und Catilina, der Präsident de Thou262-1 und Ravaillac262-2 an Verdiensten einander gleich. Die Menschen würden nur noch als Maschinen anzusehen sein, die teils für das Lasier, teils für die Tugend bestimmt wären. Auf jeden Fall wären sie unfähig, aus sich heraus verdienstlich zu handeln oder zu sündigen und so Strafe oder Lohn zu ernten. Das würde die Moral, die guten Sitten und alle Grundlagen der Gesellschaft untergraben. Woher kommt dann aber die Liebe zur Freiheit, die gemeiniglich in allen Menschen lebt? Wenn sie nur in der Vorstellung existierte, woher wüßten sie dann von ihr? Sie müssen sie also durch Erfahrung, durch ihr Gefühl kennen gelernt haben; folglich muß Freiheit wirklich bestehen, oder es wäre unwahrscheinlich, daß sie Liebe für sie empfinden könnten. Was immer Calvin, Leibniz, die Arminianer262-3 und der Verfasser des „Systems der Natur“ darüber sagen mögen, sie werden uns niemals überzeugen, daß wir Mühlenräder seien, die von einer notwendigen, unwiderstehlichen Ursache nach Laune in Bewegung gesetzt würden.

All diese Fehler, in die unser Autor verfiel, kommen von seiner Systemwut her; er hat sich in seine Meinungen verrannt. Er traf Phänomene, Umstände und Einzelheiten, die zu seiner Lehre trefflich stimmten. Als er aber daran ging, seine Ideen zu verallgemeinern, fand er andere Kombinationen und Erfahrungswahrheiten, die<263> ihr zuwiderliefen. Diese nun hat er verbogen und vergewaltigt, um sie, so gut es gwg, den übrigen Teilen seines Systems anzupassen. Sicher ist, daß er keinen der Beweise, die das Dogma der Fatalität stärken können, übersehen hat. Zugleich aber ist es auch klar, daß er dies sein ganzes Werk hindurch widerlegt. Ich für mein Teil denke, ein wahrer Philosoph sollte in solchem Fall auf Kosten seiner Eigenliebe die Liebe zur Wahrheit betätigen.

Doch wenden wir uns nun zu dem Abschnitt, der von der Religion handelt. Man könnte dem Verfasser Geistesarmut und vor allem Ungeschicklichkeit vorwerfen, weil er die christliche Religion verleumdet, indem er ihr Fehler nachsagt, die sie nicht hat. Wie kann er im Ernst behaupten, sie sei an allem Unglück der Menschheit schuld? Um sich mit Genauigkeit auszudrücken, hätte er einfach sagen können, daß Ehrgeiz und Eigennutz der Menschen die Religion zum Vorwand nehmen, um Unruhe über die Welt zu bringen und die eigenen Leidenschaften zu befriedigen. Was kann man ehrlicherweise an der Moral aussetzen, die im Dekalog enthalten ist? Fände sich im Evangelium nichts als diese einzige Vorschrift: „Tut den anderen nicht, was ihr nicht wollt, daß man euch tue“ — man wäre verpflichtet, zu gestehen, daß diese wenigen Worte die Quintessenz aller Moral enthalten. Und hat nicht Jesus in seiner Herrlichen Bergpredigt die Verzeihung der Beleidigungen, die Barmherzigkeit, die Menschlichkeit verkündet?

Es durfte also keine Verwechslung vorkommen zwischen Gesetz und Mißbrauch, zwischen Schriftwort und Verwirklichung, zwischen der echten christlichen Moral und derjenigen, die von den Priestern herabgewürdigt ward. Wie darf da der Autor die christliche Religion an sich beschuldigen, die Ursache der Sittenverderbnis zu sein? Wohl aber könnte er die Geistlichen anklagen, daß sie die bürgerlichen Tugenden durch den Glauben ersetzten, die guten Werke durch äußerliche Bräuche, die GeWissensbisse durch leichtwiegende Bußübungen, die unerläßliche Besserung durch verkäufliche Ablässe. Er könnte ihnen vorwerfen, daß sie von Eidespflicht entbinden und gewaltsam Gewissenszwang ausüben. Diese strafbaren Mißbräuche verdienen es freilich, daß man gegen diejenigen vorgeht, die sie einführen, und gegen jene, die sie anerkennen. Mit welchem Rechte jedoch will das einer tun, der die Menschen für Maschinen ansieht? Wie vermag er eine tonsurierte Maschine zu tadeln, die von Notwendigkeit wegen betrügt, schwindelt und mit der Gläubigkeit der Menge ein freches Spiel treibt?

Indessen, lassen wir für einen Augenblick das System der Fatalität beiseite und nehmen wir die Dinge, wie sie in dieser Welt wirtlich sind. Der Autor müßte wissen, daß die Religion, die Gesetze, die Regierungsgewalt gleichviel welcher Art niemals das mehr oder minder häufige Auftreten von Verbrechernaturen inmitten der großen Staatsbürgerzahl verhindern werden. Überall ist die breite Volksmasse wenig vernünftig, leicht läßt sie sich im Strom der Leidenschaften treiben, ist mehr zum Lasier geneigt als des Guten beflissen. Alles, was man von einer guten Regierung<264> erwarten kann, ist dies: daß unter ihr die schweren Verbrechen seltener seien als unter einer schlechten. Unser Autor müßte ferner wissen, daß Übertreibungen nicht Gründe sind, daß Verleumdungen einen PHUosophen gleichwie jeden anderen Schriftsteller unglaubwürdig machen und daß von ihm im Zustand der Erbosung, in den er etliche Male gerät, das Wort gelten könnte, das Menipp264-1 zu Jupiter spricht: „Du greifst zum Blitzstrahl; also bist Du im Unrecht!“

Ohne Zweifel gibt es nur eine Moral. Sie umfaßt alles, was die einzelnen Menschen einander schulden, sie ist die Grundlage der Gesellschaft. Unter jedweder Regierung, in jedweder Religion muß sie dieselbe sein. Die des Evangeliums würde, wenn man sie in all ihrer Reinheit nähme, nutzbringend auf das Leben anzuwenden sein. Sobald wir aber das Dogma der Fatalität annehmen, gibt es nicht Moral und Tugend mehr, und der ganze Bau der menschlichen Gesellschaft bricht zusammen. Das Ziel unseres Autors ist es unbestreitbar, die Religion zu stürzen; doch hat er den abseitigsten und schwierigsten Weg gewählt. Mir scheint, das natürlichste Vorgehen für ihn wäre dieses gewesen: ein Angriff auf die geschichtliche Seite der Religion, auf die absurden Fabeln, über denen man ihr Gebäude errichtet hat, auf die Überlieferungen, die absurder, närrischer, lächerlicher sind als das Allertollste, was das Heidentum geleistet hat. Dies wäre das Mittel gewesen, zu beweisen, daß Gott nicht gesprochen hat; das Mittel, die Menschen von ihrer einfältigen, stumpfen Leichtgläubigkeit abzubringen. Noch einen kürzeren Weg hatte der Verfasser zur Erreichung desselben Ziels. Er mußte die Argumente gegen die Unsterblichkeit der Seele vorführen, die Lukrez in seinem dritten Buch264-2 mit soviel Kraft auseinandersetzt, und mußte dann hieraus den Schluß ziehen: da mit diesem Leben für den Menschen alles zu Ende gehl und nach dem Tode ihm nichts mehr zu fürchten noch zu hoffen bleibt, so kann auch keinerlei Zusammenhang zwischen ihm und der Gottheit bestehen, und diese vermag weder zu strafen noch zu belohnen. Ohne diesen Zusammenhang kann von Kultus, von Religion nicht mehr die Rede sein, und die Gottheit sinkt für den Menschen zum Gegenstand der Untersuchung, der Wißbegier herab.

Wieviel Seltsamkeiten und Widersprüche gibt es demgegenüber im Werk dieses Philosophen! Nachdem er mühselig zwei Bände mit Beweisen für sein System gefüllt hat, gesteht er, daß wenig Menschen fähig seien, es zu erfassen und sich hinein zu vertiefen. Man sollte also glauben, daß er mit derselben Blindheit, die er der Natur nachsagt, ohne Ursache handle und unter dem Zwange einer unwiderstehlichen Notwendigkeit ein Werk schreibt, das geeignet ist, ihn in die größten Gefahren zu stürzen, ohne daß er selbst oder ein andrer je auch nur die geringste Frucht davon ernten könnte.

Kommen wir nun zu den Herrschern, die der Autor ganz besonders aufs Korn genommen hat, um sie in Verruf zu bringen. Ich kann versichern, daß die Geistlichen den Fürsten niemals so törichtes Zeug gesagt haben, wie er ihnen zuschreibt. Wenn<265> es ihnen einfällt, die Könige für Ebenbilder der Gottheit zu erklären, so ist das jedenfalls Übertreibung, obwohl sie bei dem Vergleich die Absicht haben, die Könige zu ermahnen, daß sie ihre Vollmacht nicht mißbrauchen, sondern gerecht und huldreich seien, gemäß der volkstümlichen Gottheitvorstellung, die sich bei allen Nationen herausgebildet hat. Der Autor malt sich die Sache so aus, daß zwischen den Herrschern und den Geistlichen Verträge geschlossen werden, worin die Fürsten versprechen, den Klerus zu ehren und zu Ansehen zu bringen, unter der Bedingung, daß er dem Volke Unterwerfung predige. Ich gebe die Versicherung, daß das ein Hirngespinst ist, daß es gar keine verkehrtere und lächerlichere Erdichtung gibt als diesen angeblichen Pakt. Es ist ja sehr wahrscheinlich, daß die Priester versuchen, dieser Meinung Glauben zu verschaffen, um sich Gewicht zu geben und eine Rolle zu spielen. Es ist auch gewiß, daß manche Herrscher durch ihre Leichtgläubigkeit, ihren Aberglauben, ihren Unverstand und ihre blinde Anhänglichkeit an die Kirche den Anlaß geben, ein solches Einverständnis zu argwöhnen. Tatsächlich aber hängt alles vom Charakter des Fürsten ab. Ist er schwach und bigott, so haben die Männer der Kirche das Übergewicht. Hat er das Unglück, ungläubig zu sein, so wühlen die Priester gegen ihn. In Ermangelung eines besseren schwärzen sie sein Andenken durch Verleumdungen.

Ich halte diese Neinen Schnitzer noch den Vorurteilen des Verfassers265-1 zugute. Wie aber kann er die Könige beschuldigen, sie trügen die Schuld an der schlechten Erziehung ihrer Untertanen? Er bildet sich ein, es sei ein politischer Grundsatz, daß eine Regierung mehr darauf halten müsse, über Dummköpfe zu herrschen als über eine aufgeklärte Nation. Das schmeckt ein bißchen nach den Anschauungen eines Schulrektors, der in einem engen Kreis von Vorstellungen befangen ist und weder die Welt noch die Regierungen noch die Grundbegriffe der Politik kennt. Es kann doch nicht bezweifelt werden, daß alle Regierungen der zivilisierten Völker für den öffentlichen Unterricht sorgen. Was sind denn all die Schulen, Hochschulen und Universitäten, von denen Europa wimmelt, wenn sie nicht Ansialten zur Unterweisung der Jugend sind? Wenn jedoch gefordert wird, daß in einem ausgedehnten Staat der Fürst für die Erziehung einsiehe, die jeder Familienvater seinen Kindern zuteil werden läßt, so ist dies das lächerlichste Begehren, das je ausgesprochen wurde. Der Fürst darf nicht ins innere Leben der Familie eingreifen, darf sich nicht in die häuslichen Angelegenheiten der Bürger mischen; das kann nur zur verhaßtesten Tyrannei führen.

Unser Philosoph schreibt, was ihm unter die Feder kommt, nieder, ohne die Folgen zu untersuchen. Er ist einfach schlecht gelaunt, wenn er so artig die Höfe als Herde der öffentlichen Korruption bezeichnet. Im Ernst, ich schäme mich für die Philosophie. Wie kann einer dermaßen übertreiben? Wie kann man solche Albernheiten vorbringen? Ein minder hitziger Geist, ein Weiser hätte sich damit begnügt, zu bemerken, daß, je größer die Gemeinschaften, desto raffinierter ihre Lasier sind; je mehr die

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Gelüste sich entfalten können, desto mehr kommen sie zur Betätigung. Den Vergleich mit dem Herd könnte man Iuvenal oder einem anderen Satiriker von Beruf hingehen lassen; aber einem PHUosophen — ich sage weiter nichts. Wäre unser Autor nur sechs Monate Bürgermeister des Städtchens Pau im Béarn gewesen, er würde die Menschen besser zu beurteilen wissen, als er es je durch seine leeren Betrachlungen lernen wird. Wie kann er sich einbilden, die Herrscher ermutigten ihre Untertanen zum Verbrechen, und welcher Vorteil würde ihnen daraus erwachsen, daß sie sich in die Notwendigkeit versetzen, die Übeltäter zu strafen? Es kommt zweifellos in vereinzelten Fällen vor, daß einige Verbrecher der Gesetzesstrenge entgehen; aber niemals entspringt das einer bestimmten Absicht, durch Hoffnung auf Straflosigkeit zum Frevel anzureizen. Fälle dieser Art muß man der allzu großen Nachsicht des Fürsten zuschreiben. Zweifellos kommt es unter jeder Regierung auch vor, daß Schuldige durch Intrige oder durch Bestechung oder durch den Beistand mächtiger Beschützer Mittel und Wege finden, sich der verdienten Strafe zu entziehen. Um aber solches Treiben, Intrigen und Bestechlichkeit aus der Welt zu schaffen, täte es not, daß der Fürst die Allwissenheit besäße, die von den Theologen Gott zuerkannt wird.

In den Fragen des Regierungswesens strauchelt unser Autor bei jedem Schritt. Er wähnt, Not und Elend trieben die Menschen zu den größten Verbrechen. Dem ist nicht so. Es gibt kein Land, wo nicht jeder, sofern er kein Faulenzer oder Müßiggänger ist, durch seine Arbeit sich ernähren könnte. In allen Staaten setzt sich die gefährlichste Gruppe aus den Verschwendern jeglicher Art zusammen: ihre Vergeudung erschöpft in kurzer Zeit ihre Einnahmequellen. Dadurch geraten sie in schlimme Zwangslagen, und das bringt sie dann auf die niedrigsten, widerwärtigsten, schmählichsten Auswege. Die Bande des Catilina, die Anhänger Julius Cäsars, die Frondeurs, die der Kardinal von Retz aufwiegelte266-1, die Parteigänger Cromwells, sie alle waren Leute dieser Art, die nur dadurch ihre Schulden loswerden und ihre zerrüttete Existenz wiederherstellen konnten, daß sie den Staat umstürzen halfen, dessen Bürger sie waren. In den ersten Familien des Staates beschränken sich die Verschwender auf Schwindel und Ränke. Beim Volk werden die Geldvergeuder und Faulpelze schließlich Räuber und begehen die ungeheuerlichsten Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit.

Nachdem der Verfasser offenkundig bewiesen hat, daß er weder weiß, wie die Menschen sind, noch wie sie regiert werden müssen, wiederholt er die Deklamationen aus den Satiren Boileaus wider Alexander den Großen, macht Ausfälle gegen Karl V und dessen Sohn Philipp II., wiewohl man untrüglich fühlt, daß es auf Ludwig XI V. abgesehen ist. Von allen Ungereimtheiten, die von den angeblichen Philosophen unserer Tage mit sehr viel Behagen vertreten werden, scheint ihnen vor allem jene am<267> Herzen zu liegen, die darauf hinausgeht, die großen Männer des verflossenen JahrHunderts zu verunglimpfen. Was für eine Mehrung ihres Ansehens versprechen sie sich wohl davon, wenn sie die Schwächen eines Königs aufbauschen, der sie durch Größe und Ruhm überstrahlt hat? Die Fehler Ludwigs XIV. sind übrigens bekannt; diese vermeintlichen Philosophen haben also nicht einmal das kleine Verdienst, deren erste Entdecker zu sein. Ein Fürst, der bloß acht Tage regiert, wird ohne Zweifel schon Fehler begehen; um wieviel mehr muß das ein Monarch tun, der sechzig Jahre seines Lebens den Thron innehatte. Wenn Sie sich zum unparteiischen Richter aufwerfen wollen, so studieren Sie erst einmal das Leben dieses großen Fürsten! Dann werden Sie gestehen müssen, daß er in seinem Königreich mehr Gutes als Schlimmes vollbracht hat.

Einen ganzen Band müßte man füllen, wenn man seine Rechtfertigung im einzelnen durchführen wollte; ich beschränke mich hier auf die Hauptpunkte. Legen Sie also, wie recht und billig, die Hugenottenverfolgung seiner Altersschwäche zur Last, dem Aberglauben, in dem er auferzogen war, dem Vertrauen, das er unbedachtermaßen seinem Beichtvater schenkte. Setzen Sie die Verwüstung der Pfalz (1689) auf Rechnung des harten und hochfahrenden Louvois267-1. Danach werden Sie ihmWeiteres kaum vorwerfen können, abgesehen davon, daß er ein paar Kriege aus Eitelkeit oder Herrscherstolz unternommen hat. Im übrigen können Sie ihm nicht abstreiten, daß er der Beschirmer der schönen Künste war. Ihm verdankt Frankreich seine Manu, fakturen, seinen Handel und überdies die schöne Abrundung seiner Grenzen samt dem Ansehen, das es während seiner Regierungszeit in Europa genoß. Ehren Sie also seine lobenswerten und wahrhaft königlichen Eigenschaften! Wer da heutigentages gegen die Herrscher losziehen will, muß ihre Verweichlichung, ihre Trägheit, ihre Unwissenheit angreifen. Sie sind zumeist mehr schwach als ehrgeizig, mehr eitel als herrschsüchtig.

Die wahren Ansichten des Autors über die Regierungen enthüllen sich erst gegen das Ende seines Werkes. Da erst tut er uns kund, daß seines Erachtens die Untertanen sich des Rechts erfreuen sollten, ihre Herrscher abzusetzen, wenn sie unzufrieden mit ihnen sind. Um an dieses Ziel zu gelangen, erhebt er Einspruch gegen die großen Heere, die seinem Plan einigermaßen hinderlich sein könnten. Man glaubt La Fontaines Fabel vom Wolf und vom Schäfer zu lesen. Sollten die verstiegenen Ideen unseres Philosophen jemals in Erfüllung gehen, so müßten zuvor die Regierungsformen sämtlicher Staaten von Europa umgestaltet werden, was ihm eine Kleinigkeit dünkt. Ferner müßten — was mir unerfüllbar scheint — diese Untertanen, die den Richter ihres Herrn spielen wollten, weise und gerecht, die Thronbewerber müßten frei von Ehrgeiz sein, weder Intrige noch Kabale noch Unabhängigkeitsgelüste irgendwie das Übergewicht erlangen können. Außerdem müßte das entthronte Fürstenhaus<268> vollständig ausgerottet werden, oder aber es bliebe ein Nährboden für Bürgerkriege, blieben Führer, die stets bereit wären, an die Spitze gefährlicher Parteien zu treten, um den Staat in Aufruhr zu bringen. Es würde sich weiter als Folge dieser Regierungsform ergeben, daß die Thronkandidaten und -Prätendenten sich unaufhörlich regen, das Volk gegen den Fürsten aufwiegeln, Unruhen und Empörung schüren würden, in der Hoffnung, auf solchen Wegen emporzusteigen und zur Herrschaft zu gelangen.

Hierdurch wäre eine derartige Regierung dauernd inneren Kämpfen ausgesetzt, die tausendmal gefährlicher sind als die auswärtigen Kriege. Um eben diesen Mißständen vorzubeugen, wurde ja die Erbfolge geschaffen und in mehreren europäischen Staaten eingeführt. Man sah, welche Unruhen die Wahlen nach sich ziehen, und fürchtete mit Recht, eifersüchtige Nachbarn könnten so günstige Gelegenheit wahrnehmen, das Land zu überwältigen oder zu verwüsten. Der Autor konnte sich leicht über die Folgen seiner lehren klar werden: er brauchte bloß einen Blick auf Polen zu werfen, wo jede Königswahl zu einer Epoche inneren und äußeren Krieges ward.

Ein großer Irrtum ist es, zu glauben, Menschenwerk könne vollkommen sein. Unsere Einbildungskraft mag sich solche Trugbilder ersinnen, doch lassen sie sich nimmermehr verwirklichen. Seit Anbeginn der Welt haben die Völker es mit allen Formen der Regierung versucht; die Blätter der Geschichte sind voll davon. Allein es gibt keine Regierungsart, die nicht Unzuträglichkeiten unterworfen wäre. Die meisten Völker jedoch haben die Erbfolge der regierenden Familien anerkannt, weil das bei der Wahl, die sie zu treffen hatten, die mindest nachteilige Entscheidung war. Das Übel, das auch diese Einrichtung mit sich bringt, besieht darin, daß unmöglich während einer langen Reihe von Jahren innerhalb einer Familie Talente und Verdienst ununterbrochen vom Vater auf den Sohn sich forterben können, und daß demnach zuweilen unwürdige Fürsten den Thron einnehmen werden. Selbst in diesem Falle bleibt noch das Hilfsmittel, daß fähige Minister durch ihre Tüchtigkeit den Schaden wieder gutmachen können, den die Torheit des Herrschers ohne Zweifel anrichten würde.

Das Gute, das aus dieser Ordnung.der Dinge offenbar hervorgeht, beruht darauf, daß Fürsten, die auf dem Thron geboren sind, weniger Dünkel und Eitelkeit haben als die Emporkömmlinge. Geschwellt vom Gefühl ihrer neuen Größe, verachten diese die anderen, die bis dahin ihresgleichen waren, und gefallen sich darin, sie bei jeder Gelegenheit ihre Überlegenheit fühlen zu lassen. Vor allem aber beachte man, daß ein Fürst, der das Nachfolgerecht seiner Kinder gesichert weiß, in dem Bewußtsein lebt, für seine Familie zu arbeiten, und sich also mit weit mehr Eifer dem wahren Hell des Staates widmen wird, den er als sein Erbgut ansieht. Im Gegensatz dazu denken die Wahlkönige nur an sich, an das, was während ihrer Lebenszeit Bestand haben kann, und an nichts weiter. Sie suchen ihre Familie zu bereichern und lassen im übrigen alles verfallen, da der Staat in ihren Augen ein unsicherer Besitz ist, auf den es eines Tages verzichten heißt. Wer sich davon überzeugen will, braucht<269> sich nur über die Vorgänge in den deutschen Bistümern, in Polen und sogar in Rom zu unterrichten, wo die traurigen Wirkungen der Wahl nur allzusehr in die Augen springen.

Was man auch auf dieser Welt unternehmen mag, es wird irgend welchen Schwierigkeiten und oft gewaltigen Hindernissen begegnen. Glaubt man sich also sattsam erleuchtet, um die Öffentlichkeit aufklären zu können, so hüte man sich im besonderen davor, Heilmittel zu empfehlen, die schlimmer sind als die Übel, über die man klagt. Und wer's nicht besser machen kann, halte sich an die alten Bräuche, vor allem an die bestehenden Gesetze.

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260-1 Juno hatte sich in eine Wolke verwandelt; Ixion zeugte mit ihr die Zentauren.

260-2 Johann Turberville Needham, englischer Physiker (1713—1781).

262-1 Jacques Auguste de Thou († 1617), französischer Staatsmann und Geschichtsschreiber.

262-2 Der Mörder König Heinrichs IV. von Frankreich.

262-3 Die Arminianer vertraten die freiere Richtung nnerhalb der reformierten Kirche in den Niederlanden.

264-1 Vielmehr Cyniscus in Lucians Dialog: „Der überführte Jupiter“.

264-2 Des Lehrgedichts: De rerum natura.

265-1 Vgl. S. 238 ff.

266-1 Jean Gondi, Kardinal von Reh, war das Haupt der Fronde (vgl. S. 18).

267-1 Franz Michael le Tellier, Marquis Louvois, der Kriegsminister Ludwigs XIV.