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25. Kapitel

Welchen Einfluß das Glück auf die menschlichen Angelegenheiten hat und wie dem Unglück vorzubeugen ist.

Die Frage der menschlichen Willensfreiheit ist eine von jenen, daran die Philosophie sich zuschanden denkt, die außerdem so manchen Fluch aus der GottesMänner geweihtem Munde gekostet hat. Die Bekenner der Willensfreiheit machen geltend: sind die Menschen unfrei, so wirkt Gott in ihnen; mithin ist es Gott, der mittelbar durch sie Morde, Diebstähle und überhaupt alle Verbrechen verübt, was doch in offenem Widerspruch stünde zu seiner Helligkeit; zweitens aber: ist das höchste Wesen der Vater der Lasier und der Urheber aller begangenen Verbrechen, so wird man die Schuldigen nicht mehr bestrafen können, so wird's überhaupt weder Tugend noch Laster mehr geben in der Welt. Man kann dies schreckliche Dogma also nicht zu Ende denken, ohne all der Widersprüche inne zu werden; so bleibt wohl nichts übrig als die Entscheidung für die Willensfreiheit.

Die Anhänger der unbedingten Notwendigkeit hingegen sagen, es würde ja um Gott schlimmer stehen als um einen blinden Handwerker, der sein Wert im Finstern schafft, sollte er nach Erschaffung seiner Welt nicht gewußt haben, was sich nun in ihr zutragen solle. Ein Uhrmacher, sagen sie, kennt den Gang des kleinsten Rädchens einer Uhr, denn er weiß ja, welche Bewegung er ihm verlieh, weiß, zu welchem Zwecke er's bestimmte; da sollte Gott, dies Wesen von unendlicher Weisheit, nur der neugierige, ohnmächtige Zuschauer zu allem Tun der Menschen sein? Wie wäre wohl derselbe Gott, dessen Werke alle das Gepräge wohlbedachter Ordnung an sich tragen, also, daß sie alle ganz bestimmten, unwandelbaren Gesetzen unterworfen sind, wie wäre er wohl dazu gekommen, allein den Menschen sich der Unabhängigkeit und Freiheit erfreuen zu lassen? Dann wäre nicht die Vorsehung Leiterin der Weltgeschicke, sondern die Laune des Menschen. Läuft's also einmal hinaus auf die Wahl, ob der Schöpfer oder das Geschöpf ein willenlos Bewegtes sei, so wird die Vernunft solches wohl eher dem Wesen zutrauen, dem Schwachheit innewohnt, nicht aber dem, das der Inbegriff der Macht ist. So wären denn die Vernunft sowie alle Regungen der<102> Menschenbrust die unsichtbaren Fäden, daran die Hand der Vorsehung unser Geschlecht gängelt, daß es mittue an den Geschehnissen, deren Eintreten der Ratschluß der ewigen Weisheit bestimmt hat, und jeder einzelne sein Geschick erfülle.

So gerät man, der Charybdis zu entgehen, in gefährliche Nähe der Skylla, und so stoßen die Philosophen einander abwechselnd in den Abgrund des Unsinns, indes die Streiter des Herrn im Finstern herumfuchteln und fromm in Bruderliebe und Glaubenseifer sich verfluchen. Die Kriegführung zwischen diesen beiden Lagern gemahnt etwa an die der Karthager und Römer: drohte das Erscheinen der römischen Truppen in Afrika, so trug man die Brandfackel des Krieges nach Italien; wollte man zu Rom den gefürchteten Hannibal sich vom Halse schaffen, so schickte man Scipio an der Spitze der Legionen hinüber, Karthago zu belagern. PHUosophen, Gottesgelahrte und die Mehrzahl der Ritter vom Für und Wider sind Kämpfernaturen nach französischer Art: schneidig im Angriff, sind sie verloren, sobald sie auf Abwehr angewiesen sind. Das hat einen witzigen Kopf zu der Bemerkung veranlaßt, Gott sei der Vater aller Sekten; denn er habe allen gleiche Waffen, eine schwache wie eine starke Seite gegeben.

Dies Entweder — Oder: Willensfreiheit oder Prädestination, verpflanzt nun Machiavell aus der Metaphysik in die Betrachtung des Staates. Damit gerät er auf einen fremden Boden, der ihm nichts zu bieten hat; denn statt sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob wir frei oder unfrei sind, ob Glück oder Zufall eine Macht bedeuten oder nicht, kommt's in den Fragen des Staates eigentlich nur darauf an, daß einer seinen Scharfblick übe und seine Umsicht erweitere.

Glück und Zufall sind Worthülsen ohne Sinngehalt; sie stammen aus dem Hirn der Poeten, verdanken ihren Ursprung, allem Anschein nach, der tiefen Unwissenheit, in der die Welt hindämmerte, als sie den Erscheinungen, deren Ursache ihr dunkel war, aufs Geratewohl einen Namen gab.

Was im Volksmunde Cäsars Glück heißt, sind im Grunde nur die in der Weltläge gegebenen Bedingungen, die den Plänen dieses ehrgeizigen Mannes entgegenkamen. Und das sogenannte Mißgeschick des Cato besieht in den unvermuteten Unfällen, die ihm widerfuhren, jenen Schicksalsschlägen, bei denen Ursache und Wirkung so schnell einander folgten, daß es für seine Klugheit kein Voraussehen noch Vorbeugen gab.

Der Begriff Zufall läßt sich am besten durch das Würfelspiel erläutern. Da nennt man's auch Zufall, wenn mein Wurf zwölf und nicht sieben Augen gibt. Wollte man dies Ergebnis nach seinen natürlichen Ursachen zerlegen, so wäre da eine Fülle von Einzelheiten wohl zu beachten: in welcher Weise wurden die Würfel in den Becher hineingetan, wie waren die Bewegungen der Hand — mehr oder weniger kräftig, mehr oder weniger häufig —, die die Würfel im Becher durcheinanderschüttelten, ihnen eine schnellere oder langsamere Bewegung verliehen, als sie über den Tisch rollten? Das Zusammenwirken all dieser Ursachen heißen wir Zufall! Freilich, eine derartige<103> Untersuchung, zu der es erforderlich ist, auf tausenderlei einzugehen, verlangt einen philosophischen und aufmerkenden Geist, solche Vertiefung ist aber nicht jedermanns Sache, und so spart man sich lieber die Mühe. Und ich gebe zu, leichteren Kaufs kommt man schon davon, begnügt man sich mit einem Namen, der eigentlich nichts besagt. So kommt's, daß von der ganzen heidnischen Götterwelt allein Glück und Zufall uns geblieben sind. Nun, immerhin hat's etwas für sich: die Toren sehen ja gern die Ursache ihres Mißgeschicks in der Feindseligkeit des Glückes, und auf der anderen Seite erheben die, so ohne besonderes Verdienst in der Welt vorankommen, gern das blinde Schicksal zur Gottheit, deren Weisheit und Gerechtigkeit aller Bewunderung wert seien.

Solange wir nun Menschen sind, das heißt äußerst bedingte Wesen, werden wir niemals ganz erhaben sein über das, was man Schicksalsfügungen nennt. Wir müssen mit Weisheit und Klugheit das Mögliche dem Zufall, der Stunde entreißen; nur ist unser Sehfeld zu beengt, um alles wahrzunehmen, und unser Denkvermögen zu beschränkt, um alles in die gehörige Beziehung zu bringen. All unsere Unzulänglichkeit aber gibt uns kein Recht, das bescheidene Maß an Kräften, das einmal unser ist, brachliegen zu lassen. Im Gegenteil! Wir sollen herausholen, soviel wir nur vermögen, und darum, well wir nun mal keine Götter sind, unser Wesen nicht gleich auf den Standpunkt des Viehes herabsinken lassen. Tatsächlich gehörte nicht weniger als göttliche Allwissenheit dazu, wollte der Mensch das tausendfach verschlungene Gewebe verborgener Ursachen übersehen und bei jedem Geschehen dem letzten, unscheinbarsten Warum nachgehen, um auf diesem Wege zu richtigen Berechnungen für die Zukunft zu gelangen.

Hier zwei Begebenheiten zum Beweise, daß es keiner Menschenwelsheit gegeben ist, alles und jedes vorauszusehen. Die erste der Überfall Cremonas durch Prinz Eugen103-1. Das Unternehmen war mit aller erdenkbaren Umsicht angelegt und wurde mit großartigstem Schneid angepackt. Was brachte den Plan zum Scheitern? Der Prinz schaffte sich gegen Morgen Eingang in die Stadt durch einen unterirdischen Gang, den ihm nach geheimer Abrede ein Priester öffnete. Unfehlbar hätte er sich zum Herrn der Stadt gemacht, wären nicht zwei Umstände, die er unmöglich voraussehen konnte, dazwischengetreten. Erstens stand zufällig ein Regiment Schweizer, das gerade am selben Morgen exerzieren sollte, unter Gewehr und leistete ihm Widerstand, bis die ganze Garnison auf den Beinen war. Zweitens traf sich's, daß der Führer, der den Herzog von Vaudemont zu einem anderen Stadttor, auf dessen Einnahme es ankam, hingeleiten sollte, den Weg verfehlte, und so kam diese Abteilung zu spät an. Ich glaube, selbst die begeisterungtaumelnde Priesterin von Delphi hätte auf ihrem heiligen Dreifuß mit allen Geheimnissen ihrer Kunst diese Zwischenfälle nicht voraussehen können.

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Mein zweites Beispiel ist der Sonderfriede, den die Engländer gegen Schluß des Spanischen Erbfolgekrieges mit Frankreich schlossen104-1. Weder die Minister Kaiser Josephs I. noch die größten PHUosophen noch die gewiegtesten Staatsmänner hätten ahnen können, daß ein Paar Handschuhe das Schicksal Europas umgestalten würden, was doch buchstäblich, wie man sehen wird, eintraf.

Lady Marlborough bekleidete die Würde einer Oberhofmeisterin der Königin Anna in London, indes ihr Gemahl in den Feldzügen in Brabant eine doppelte Ernte einheimste, an Lorbeeren und an Reichtümern. Die Herzogin gab durch die Gunst, deren sie genoß, der Partei des Kriegshelden einen Rückhalt, und dieser wiederum dem Kredit seiner Gattin durch seine Siege. Ihre Gegenpartei, die Torys, die den Frieden wünschte, war, solange diese Herzogin bei der Königin allmächtig war, völlig machtlos. Ein Nichts war der Anlaß, daß sie diese Gunst verwirkte. Die Königin hatte Handschuhe bei ihrer Händlerin bestellt, desgleichen auch die Herzogin zur selben Zeit; in ihrer Ungeduld drängte sie die Frau, sie vor der Königin zu bedienen. Indessen verlangte Anna nach ihren Handschuhen; eine Palastdame104-2, die der Lady Mariborough feind war, hinterbrachte der Königin, was sich zugetragen hatte, und wußte die Sache so böswillig auszubeuten, daß die Königin von Stund an in der Herzogin eine Favoritin sah, deren Anmaßung nicht mehr zu ertragen sei. Die Handschuh-macherin goß vollends Öl ins Feuer, indem sie der Fürstin einen nach Kräften mit Bosheit getränkten Bericht der Handschuhgeschichte lieferte. Dieser geringfügige Anlaß reichte hin, alle Geister in Gärung zu bringen und alles zu zeitigen, was zu einer regelrechten Ungnade gehört. Die Torys, an ihrer Spitze der Marschall Tallard104-3, machten sich den Vorfall in jeder Weise zunutze, er wurde ein Trumpf in ihrem Spiel. Die Herzogin von Marlborough fiel kurz darauf in Ungnade, mit ihr hatte die Partei der Whigs ausgespielt und damit die der Verbündeten und des Kaisers. So ist's mit den ernstesten Dingen der Welt ein Spiel, die Vorsehung lacht der menschlichen Weisheit und menschlichen Größe; Albernheiten, Lächerlichkeiten geben dem Schicksal der Staaten, ganzer Königreiche oft eine Wendung. In diesem Falle retteten kleinliche Frauenzimmerhändel Ludwig XIV. aus einer Lage, aus der ihm vielleicht all seine Weisheit, Wehrkraft und Macht nicht hätten heraushelfen können, und zwangen die Verbündeten, Frieden zu schließen, ob sie wollten oder nicht.

Derartige Dinge begeben sich wohl, doch ich gestehe, selten genug, jedenfalls reicht ihr Gewicht nicht hin, der menschlichen Klugheit und Geistesschärfe ihren Wert zu nehmen. Es ist damit wie mit Krankheiten, die zuzeiten einmal die Gesundheit eines<105> Menschen stören, ohne ihn doch ernstlich im lebenslänglichen Genuß seiner kräftigen Natur zu beeinträchtigen.

Es bleibt also durchaus geboten, daß, wer die Welt regieren soll, seinen Scharfsinn und seine Klugheit ausbilde. Damit ist's aber noch nicht getan: wer das Glück fesseln will, muß lernen, mit seinem Temperament sich in den Wandel der Verhältnisse zu schicken, was recht schwer ist.

Im großen und ganzen habe ich nur zwei Arten von Temperamenten im Auge, das einer rasch zugreifenden Lebhaftigkeit und das einer sorglich Umschau haltenden Bedächtigkeit. Diese seelischen Veranlagungen sind ihrerseits in der körperlichen Anlage begründet, und so ist es nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, daß ein Fürst so unbedingt Herr über sich selber sei, um wie ein Chamäleon jede Farbe anzunehmen. Da gibt's nun Zeitalter, die kommen der Ruhmbegier der Eroberernaturen zustatten, jener verwegenen und unternehmenden Menschen, die geboren scheinen, zu handeln und außerordentliche Umwälzungen in der Welt zu wirken. Revolutionen und Kriege sind ihnen Lebensluft, vor allem schafft ihnen der Ränkegeisi, ein Geist des Mißtrauens, der die Fürsten entzweit, Gelegenheit zur Entfaltung ihrer gefährlichen Gaben; kurz, alle äußeren Umstände, die so unruhigen und unternehmungslustigen Köpfen wesensoerwandt sind, erleichtern ihren Erfolg.

Zu anderen Zeiten scheint die Welt, minder bewegt, mehr nach einer milden Herr, schaft zu verlangen, wo es dann nur der Klugheit und Umsicht bedarf. Da waltet im Leben der Völker eine Art glücklicher Windstille, wie sie gern dem Sturme folgt. In solchen Zeitläuften erzielen Verhandlungen größere Erfolge als Schlachten, da muß denn die Feder erwirken, was der Degen nicht gewinnen kann.

Um aus jeder Gestaltung der Verhältnisse Nutzen zu ziehen, soll der Fürst lernen, sich in die Zeit zu schicken, wie ein gewandter Schiffer alle Segel aufsetzt, wenn die Winde ihm günstig sind, oder beim Winde segelt oder sie einzieht, sowie grobes Wetter ihn dazu nötigt, nur bemüht, sein Fahrzeug in den ersehnten Hafen zu steuern, ganz gleich, ob so oder so.

Ein Feldherr, der verstünde, im rechten Augenblick bedächtig und dann wieder wagemutig zu sein, wäre fast unbezwingbar. Er würde gegebenen Falles den Krieg in die Länge ziehen können, sobald er mit einem Feinde zu tun hätte, dem's an Mitteln gebräche, einen langen, kostspieligen Krieg durchzuhalten, oder sobald auf der Gegenseite Verpflegungsmangel und Futternot einträten. Fabius setzte Hannibal matt durch seine Bedächtigkeit; der Römer kannte Karthagos Geld- und Rekrutennot sehr genau, da genügte es ihm, dessen Heer kampflos dahinschmelzen zu lassen, seinen Erschöpfungstod gleichsam ruhig abzuwarten. Hannibals Heil dagegen war der Kampf; all seine Macht lag in der Gunst des Augenblicks, dem galt es mit Geistesgegenwart jeden erdenklichen Gewinn zu entreißen, um ihr Dauer und Bestand zu geben durch das Entsetzen, das die blendende Waffentat verbreitet, und durch die neuen Hilfsquellen, die die Eroberung erschließt.

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Hätten im Jahre 1704 der Kurfürst von Bayern und Marschall Tallard Bayern nicht verlassen, um bis Blindheim und Höchstädt vorzugehen, sie wären die Herren von ganz Schwaben geblieben. Denn das Heer der Verbündeten konnte sich aus Mangel an Lebensmitteln in Bayern nicht halten und hätte sich bis zum Main zurückziehen und auflösen müssen. Es war also Mangel an Umsicht zur rechten Stunde, wenn der Kurfürst sein Schicksal, das ganz und gar nur bei ihm stand, der Entscheidung einer Schlacht anvertraute, einer Schlacht, die ewig denkwürdig und ruhmvoll für den deutschen Namen sein wird. Diese Unklugheit rächte sich durch die gänzliche Niederlage der Franzosen und Bayern106-1 und den Verlust Bayerns und alles Landes zwischen Oberpfalz und Rhein.

Die Verwegenheit hat gewiß etwas Besiechendes, was packt und blendet; aber sie hat nur eine schöne Außenseite, innerlich ist sie an Gefahren trächtig. Die Klugheit ist weniger lebendig an Gebärde, weniger glanzvoll in der Erscheinung, aber sie schreitet festen Fußes ihren Weg ohne Wanken. Von den Wagemutigen, die untergingen, spricht man nicht, nur von solchen, denen das Glück hold war — wie's auch mit Träumen und Vorhersagungen geht: auftausend falsche, die vergessen wurden, kommt eine ganz verschwindende Zahl solcher, die eintrafen, und deren erinnert man sich. Die Welt sollte eben alles Geschehen nach dem bewerten, was es herbeigeführt hat, nicht aber umgekehrt.

Ich schließe also: ein Volt setzt mit einem Fürsten von kühner Sinnesart viel aufs Spiel und sieht sich von ständiger Fährnis bedroht; ein umsichtiger Fürst hingegen, mag er auch zu großen Taten nicht berufen sein, bringt doch von Natur Gaben mit, die ihn mehr als jenen befähigen, ein Segen für die Völker unter seinem Zepter zu sein. Sind Eroberungen die Stärke der Wagemutigen, so ist die Stärke der Klugen die Erhaltung des Erworbenen.

Damit der eine wie der andere ein großer Mann werden, müssen beide im rechten Augenblick zur Welt kommen, sonst bringen ihre Gaben ihnen mehr Unsegen als Glück. Jeder Mensch von Nachdenken, vornehmlich jeder, den der Himmel zum Herrn über andere bestimmt hat, sollte sich einen Lebensplan zurechtlegen, ebenso durchdacht und geschlossen wie ein mathematischer Beweis. Wer sich getreulich an ein solches System hielte, hätte darin die Handhabe folgerechten und allezeit ziel, sicheren Handelns. Auf diese Weise wäre einer imstande, jeglicher Gestaltung der Dinge und jedem Ereignis das abzugewinnen, was ihm auf seinem Wege zum Ziel weiterhülfe, sodaß alles zur Ausführung seines Planes dienen müßte.

Wo aber sind die Fürsten, von denen wir so viele seltene Gaben verlangen? Es sind eben nur Menschen, und mit Recht wird man gestehen müssen, daß es ihnen, wie sie einmal geschaffen sind, schlechthin unmöglich ist, allen ihren Pflichten gerecht<107> zu werden. Eher fände einer den Phönix, von dem die Poeten erzählen, oder das letzte Grundprinzip aller Dinge, nach dem die Metaphysik sucht, als den Menschen Platos. Es ist billig, daß die Völker sich am Ringen ihrer Fürsten nach Vollkommenheit genug sein lassen. Am weitesten in diesem Streben werden die Fürsten kommen, die sich vom Fürstenbilde Machiavells mehr denn die anderen entfernen. Es ist nur recht und billig, daß man ihre Mängel sich gefallen lasse, wenn sie von Vorzügen des Herzens und redlichem Wollen aufgewogen werden — immer in dem Bewußtsein, daß es Vollkommenes in der Welt überhaupt nicht gibt und Irttum und Schwachheit aller Menschen Erbteil sind. Am glücklichsten ist das Land, wo gegenseitige Nachficht zwischen Herrscher und Untertanen waltend, über die Gesellschaft jene Stimmung liebenswürdiger Milde ausgießt, ohne die das Dasein zur schweren Bürde wird und die Welt aus einem Schauplatz der Freude ein Tal der Bittemisse.


103-1 Am 1. Februar 1702.

104-1 Es handelt sich um das Präliminar-Abkommen vom Oktober 1711, das dann durch den Frieden von Utrecht 1713 definitiv bestätigt wurde.

104-2 Anna Masham.

104-3 Der französische Marschall Graf Camille Tallard war in der Schlacht bei Höchstädt (vgl. S. 106) gefangen und darauf nach London gebracht worden. Seine Erwähnung in diesem Zusammenhange erklärt sich dadurch, daß Friedrich in dem ersten, noch nicht veröffentlichten Entwurf des „Antimachiavell“ gesagt hatte, jene Palastdame, Lady Masham, habe auf Seite der Torys gestanden und sei „überdies von Marschall Tallard geWonnen worden“. Diese Angabe blieb dann in der obigen Fassung fort.

106-1 Am 13. August 1704 schlugen Prinz Eugen und Marlborough den Kurfürsten Maximilian Emanuel und die Franzosen unter Tallard bei Höchsiädt und Blindheim.