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1. Kapitel

Von den Arten der Herrschaft und den Mitteln, zur Herrschaft zu gelangen.

Wer zu klarer Einsicht gelangen will, muß zunächst die Wesensart seines Gegenstandes ergründen, er muß zurückgreifen auf den Ursprung der Erscheinungen, um nach Möglichkeit ihre Anfänge und deren Gesetze zu erkennen; von da aus ist es leicht, ihre Entwicklungsstufen sowie alle denkbaren Folgerungen herzuleiten.

Statt die verschiedenen Arten der Staaten zu beschreiben, wäre es meines Erachtens Machiavells Aufgabe gewesen, dem Ursprung der Fürsten und der Quelle ihrer Herrschergewalt nachzugehn, zu erörtern, was wohl freie Menschen bestimmen konnte, sich selber Herren zu geben.

Allerdings wunderlich genug hätten sich in einem Werke, das so recht ein Dogmen- und Lehrbuch tyrannischer Ruchlosigkeit abgeben sollte, Betrachtungen ausgenommen, die geeignet gewesen waren, allen Tyrannenrechten den Boden zu entziehen. Es wäre eine harte Zumutung für Machiavell gewesen, ausführen zu müssen: um ihrer Ruhe, um ihrer Erhaltung willen haben es die Völker für nötig befunden, Richter zu haben, die ihren Hader schlichten, Schirmherren, die ihren Besitz wider die Neider decken, Fürsten, die die Interessen aller, so mannigfaltig sie sind, zusammen, fassen könnten zu einem großen Gesamtinteresse, und die Völker haben aus ihrer Mitte die Männer ausgewählt, die sie für die weisesten, gerechtesten, uneigennützigsten, menschlichsten und tapfersten hielten, über sie Herren zu sein und die drückende Last der Geschäfte ihnen abzunehmen.

Also, Wahrung des Rechtes, hätte man ihm vorgehalten, ist demnach eines Herrschers erste Obliegenheit. Über alles soll ihm seiner Völker Wohlfahrt gehn. Ihres Gedeihens oder Behagens Mehrer oder auch Begründer hätte er demnach zu sein. Aber was sollen dann all diese Begriffe Eigennutz, Hoheit, Ehrgeiz, Despotismus? So läuft's also darauf hinaus, daß der Herrscher, weit entfernt, der unumschränkte Gebieter über seine Untertanen zu sein, nur ihr erster Diener ist, das Werkzeug ihres Glückes, wie jene das Werkzeug seines Ruhmes. Nein, der Verfasser fühlte wohl: bei einem Eingehn auf Betrachtungen solcher Art war wenig Ehre für ihn zu holen, diese Erörterung konnte höchstens die Zahl der kläglichen Widersprüche mehren, daran seine Staatslehre krankt.

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Machiavells Grundsätze widersprechen ebenso gesunden sittlichen Begriffen wie eines Descartes Lehrgebäude dem Newtons. Dem kartesianischen Wirbel entspricht hier der alles wirkende Eigennutz. Dieses Staatslehrers Grundsätze sind ebenso verderbt, wie die Gedanken jenes Philosophen oberflächlich sind. Nichts kommt der Frechheit gleich, mit der dieser Schandpolitiker Anweisung zu den abscheulichsten Verbrechen gibt; ging's nach ihm, so stünde die empörendste Ungerechtigkeit in allen Ehren, sobald Selbstsucht und Ehrgeiz dahinterstehn. Untertanen sind Hörige, deren Leben und Tod ohne Einschränkung vom Willen des Fürsten abhangen, ungefähr wie die Schafe in der Hand des Züchters, dessen Zwecken ihre Milch dient und ihre Wolle, und der sie auch wohl abschlachten läßt, wenn's ihm paßt.

Meine Aufgabe ist's, jene irrigen und heUlosen Grundsätze im einzelnen zu widerlegen. Doch sei dies jeglichem Kapitel im besonderen vorbehalten, wie sein Gegenstand es mit sich bringt.

Aber so viel schon hier im allgemeinen: nach meinen Ausführungen über den Ursprung der Fürsten erscheint das Tun eines Usurpators noch empörender, als wenn man nur die Gewalttat als solche im Auge hat: er schlägt eben der Meinung und Absicht der Völker ins Gesicht, die einen Herren über sich gesetzt haben lediglich, damit der ihnen Schirm und Schutz sei, die nur unter dieser Bedingung sich ihm unterworfen haben! Während, wenn sie dem Zwingherrn gehorchen, sie damit sich selbst und ihre Habe preisgeben, um die Gier und die Laune eines oft grausamen und immer verabscheuten Tyrannen zu befriedigen.

Es gibt also nur drei Wege, auf rechtmäßige Weise Herr über ein Land zu werden: durch Erbfolge, durch Wahl durch die Völker, die zur Wahl ermächtigt sind, oder durch Eroberungen von feindlichen Provinzen in einem rechtmäßig unternommenen Kriege.

Ich bitte meine Leser, diese Bemerkungen über das erste Kapitel Machiavells nicht zu vergessen; sie sind gleichsam der Angelpunkt für alle meine folgenden Betrachtungen.