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17. Kapitel

Von Grausamkeit und Milde, und ob es besser ist, geliebt oder gefürchtet zu werden.

Der kostbarste Schatz, der der Hut der Fürsten anvertraut ist, das ist ihrer Untertanen Leben. Ihr Amt gibt ihnen die Vollmacht, zum Tode zu verurteilen oder Gnade an den Schuldigen zu üben, sind sie doch die obersten Gerichtsherren. Ein Wort aus ihrem Munde, und es treten vor sie hin die finsteren Vollstrecker des Todes und der Vernichtung; ein Wort aus ihrem Munde, und es eilen dahin die Boten ihrer Gnade, die Retter in der Not mit ihrer Heilsbotschaft. Wieviel Besonnenheit, Voraussicht und Weisheit gehört aber zu einer so unbeschränkten Machtvollkommenheit, soll jeder Mißbrauch verhütet werden!

Tyrannen zählen ein Menschenleben nicht. Ihr Glück hat sie ja so hoch hinaufgetragen, nun fühlen sie das Leid da unten, das ihnen unbekannt bleibt, nicht mehr mit. Sie sind den Kurzsichtigen gleich, die nur zwei Schritte weit sehen können: sie sehen nur sich selbst, von der übrigen Menschheit nehmen sie nichts wahr. Vielleicht, wenn einmal das Entsetzen, das ihre eigenen Bluturteile wecken, an ihr eigenes Empfinden rühren könnte, die Grausamkeiten, die in ihrem Namen geschehen, ihren Blicken fern, all die Schrecknisse vor und bei der Hinrichtung eines Unglücklichen — wenn ihnen all das einmal nahe träte, vielleicht, daß ihr Gemüt doch noch nicht so verhärtet wäre, um sich starr der Stimme der Menschlichkeit zu versagen, daß sie in ihrer Kaltblütigkeit doch nicht so ganz aller Natur entfremdet wären, um nicht erschüttert zu werden.

Gute Fürsten fühlen diese unbegrenzte Macht über Leben und Tod auf ihrer Seele als die schwerste Last ihrer Krone. Sie wissen, sie sind selber Menschen, gleich denen, über die sie richten sollen; sie wissen, alles läßt sich wieder gutmachen hienieden, Unbill, Ungerechtigkeit, Kränkung, nur ein übereiltes Todesurteil ist ein Unglück, das nicht ungeschehen zu machen ist. Sie entschließen sich zu solcher Härte nur zur Vermeidung von noch unerfreulicheren, schonungsloseren Maßnahmen, die ihnen nicht erspart bleiben, sofern sie nicht gegebenen Falles fest zufassen; und nur in verzweifelten Fällen greifen sie zu so unseliger Entschließung — wie ein Mensch wohl, trotz zärtlichster Selbstliebe, in die Ablösung eines brandigen Gliedes willigt, um durch diesen schmerzhaften Eingriff wenigstens seinen übrigen Körper zu sichern und zu erhalten. Also nur, wenn dringendste Not es gebietet, darf ein Fürst das Leben