<35> selbst wenn er nicht vor einem Ende mit Schrecken zittert, so wird es dasselbe Elend für ihn sein, sich als den Schandfleck des Menschengeschlechtes fühlen zu müssen; das Zeugnis seines Gewissens in seiner Brust, die mächtige Stimme, die auf den Thronen der Könige wie auf dem Richtersitz der Tyrannen laut wird, wird er nie zum Schweigen bringen; nie wird er der unseligen Umdüsterung des Gemütes sich entwinden können, seine erregte Einbildungskraft wird ihm aus ihren Gräbern die blutigen Schatten derer erstehen lassen, die seine Grausamkeit dort hinabgeschickt, und er wird sich sagen: nur darum dieser Bruch mit den Naturgesetzen, damit jene seine Henker werden auf dieser Welt und die eigenen Rächer ihres jammervollen Endes.

Man lese nur das Leben eines Dionysius1 nach, eines Tiberius, Nero, Ludwig XI., Iwan Wassiljewitsch2, und man wird sich überzeugen, daß diese Ungeheuer, ebenso kranken Hirnes wie verwilderten Gemütes, den denkbar unseligsten und traurigsten Tod gefunden haben. Der Grausame ist seiner Natur nach von menschenfeindlichem, schwarzgalligem Geblüte; kämpft er nicht von Jugend auf gegen diese unglückselige Veranlagung an, so muß er notwendigerweise im Fühlen und Denken verwildern. Selbst wenn es also keine Gerechtigkeit auf Erden und keine Gottheit im Himmel gäbe, ja dann erst recht wären die Menschen auf das Gute angewiesen; denn in ihm allein besitzen sie, was sie eint, was zu ihrer Erhaltung schlechthin unerläßlich ist, während das Laster ihnen nur Unheil und Verderben bringen kann.

Machiavell hat weder Herz noch Redlichkeit noch gesundes Denken. Die Verwerflichkeit seiner Grundsätze und seinen Mangel an Redlichkeit hab' ich an seinen Beispielen aufgezeigt. Jetzt will ich ihn grober und handgreiflicher Widersprüche überführen. In folgendem mag sein unerschrockenster Erklärer und spitzfindigster Aus, leger es versuchen, Machiavell mit Machiavell zu reimen. In vorliegendem Kapitel sagt er: „Agathokles behauptete seine Höhe mit dem Mute eines Helden, indessen darf man den Mordtaten und Verrätereien, die er begangen hat, nicht den Namen der Tugend geben.“ Und im siebenten Kapitel sagt er von Cäsar Borgia, er habe die Gelegenheit, sich der Orsini zu entledigen, abgewartet und mit Umsicht wahrgenommen. Ebenda: „Wenn man im großen und ganzen alle Taten Borgias durchgeht, so ist es schwer, sie zu tadeln.“ Und an derselben Stelle: „Er konnte nicht anders handeln, als er tat.“ Da darf ich wohl den Verfasser fragen: Worin unterscheidet sich denn Agathokles von Cäsar Borgia? Ich sehe hüben und drüben die gleichen Verbrechen, die gleiche Gemeinheit. Bei einer Nebeneinanderstellung käme man wirklich in Verlegenheit, zu entscheiden, wer von beiden der größere Schandbube war.

Die Wahrheit zwingt indes von Zeit zu Zelt unfern Machiavell zu Bekenntnissen, die eine Art Ehrenerllärung an die Tugend in sich schließen. Er kann sich eben dem nicht entziehen, was klar ist wie der Tag, und so führt er aus: „Ein Fürst soll sich in seinem Verhalten immer gleich bleiben, damit er nicht in Zeiten der Not sich zu“


1 Dionysius I., Tyrann von Syrakus (431—367).

2 Iwan IV., der Schreckliche (1533—1584).