<424>

Sechster Gesang
Die Schlacht

Der Gott des Sieges tat durch meinen Mund
Die strengen Regeln seiner Kunst Euch kund.
Den schlichten Anfang hab' ich Euch erzählt
Und wie der Feldherr seine Lager wählt,
Wie er sein Heer in Zucht erhält und Pflicht,
Wie er der Städte stolze Wälle bricht
Und Winters sich vor Überfällen wahrt.
Doch Größtes sei zuletzt Euch offenbart.
Mein Lied malt Euch der Schlachten grauses Bild;
Hier wogt ein Meer, gefahrenreich und wild,
Voll Klippen, die allein die Kunst vermeidet:
Auf denn zur Schlacht! Lernt, was den Sieg entscheidet!

Schon tut die Bahn sich auf, in deren Schranken So viele Helden zeitig niedersanken,
<425>Wo Wilhelm425-1 strauchelte und Marsin fiel425-2
Und andre hilflos, atemlos, erschlafft,
Niemals erreichten ihres Laufes Ziel.
Dort ward Pompejus, Pyrrhus hingerafft,
Dort Mithridates, Crassus, Hannibal.
Die Länder weisen ihre blutigen Spuren,
Und Trümmerhaufen künden ihren Fall.
Doch Sieger bleiben auf den gleichen Fluren
Geschicktre Läufer, die ihr Ziel erreichen.
Kann Cäsars, Alexanders Ruhm verwehn?
Sieg krönt Conde, Turenne, den listenreichen,
Und Gustav425-3, Luxemburg, Villars, Eugen.

Ihr jungen Krieger, die der Ruhm begeistert,
Sorgt, daß Euch nicht das Ungestüm bemeistert!
So viele Krieger um den Sieg sich mühn,
Fortuna hat nur wenige erkoren.
Wie manchem ging, nach Taten, groß und kühn,
An einem Tag sein ganzes Werk verloren!

Gedenkt an Trojas Fall! Es widersteht
Der Griechen Scharen, hält sich unversehrt.
Der Feind erlahmt; besiegt ist Diomed;
Ajax entflieht in Wut; der Brand verzehrt
Der Schiffe viel; umsonst sich opfernd stellt
Patroklos sich dem Gegner. Hektor fällt
Den Freund Achills und raubt ihm dessen Waffen.
Dem Rächer muß Hephästos neue schaffen;
Da flieht das Glück Den, der so oft gesiegt:
Achilles kämpft und Trojas Held erliegt.
Werft auf den zwölften Karl nun Euren Blick:
Neun Jahre Sieg, neun Jahre Mißgeschick!
Blieb solchen Helden nicht der Sturz erspart,
Hat alle Kunst sie nicht vor Schmach bewahrt,
Was träumt dann Ihr, Bellonas Schüler, kaum
Im Lager heimisch, schon den Siegestraum?

<426>

Und doch: trotz meinem Rat reißt zu Beginn
Des Laufes kecker Jugendmut Euch hin;
Gleich wilden Rossen stürmt Ihr in die Bahn.
Fürchtet den Ehrgeiz, der Euch leicht verblendet;
Mißtraut des Eigendünkels holdem Wahn;
Die Gaben prüft, die Euch Natur gespendet!
Nehmt nie der Ruhmsucht eitle Träumerein
Für Eures Geistes allerhöchste Kraft.
Mögt Ihr so stark auch wie der Ringer sein
In London, den das dumme Volk begafft, —
Der Pöbel jauchzt und die Trompete klingt,
Wenn er den Gegner kraftvoll niederzwingt —
Ja, wärt an Kraft Ihr den Titanen gleich,
Die sich empörten wider Jovis Reich,
Die frevlen Muts die Göttersitze stürmten
Und die den Pelion auf den Ossa türmten, —
Besäßt Ihr selbst des Schlachtengottes Mut,
Wähnt dennoch nicht, ich hieße so Euch gut!
Kraft, Tapferkeit und Größe reicht nicht hin:
Von Helden heischt Minerva größern Sinn.

Dem Feldherrn gebe Weisheit das Geleit.
Klug sei er, doch nicht schwach, gedankenvoll,
Doch nie phantastisch; stets zur rechten Zeit
Geschehe, was sich ziemt; gehorchen soll
Sein Heer ihm blindlings, auch im Schlachtendrange.
Entsteht Verwirrung, weiß er ihr zu steuern,
Die Weichenden, Erschlafften anzufeuern.
Wes auch das Heer bedarf, er sieht es lange
Voraus und zeitig wird's herbeigeschafft.
Ist er an Mitteln reich und an Geduld,
So trifft kein Schicksal ihn durch eigne Schuld.

Drum bildet Euren Geist, die Urteilskraft.
Baut nur auf Euch; vom Glück erwartet nichts.
Langsam und kühl besonnen seid im Rat,
Doch kühn entschlossen zeigt Euch bei der Tat.
Und ohne Gründe reichlichen Gewichts
Führt nie das Heer zur mörderischen Schlacht.
<427>Des Staates Kräfte sind in Eurer Macht:
Furchtlos und willig folgt die Heldenschar
Beim ersten Zeichen Euch in die Gefahr
Und stürzt sich auf den Feind, dem Tiger gleich,
Der auf den Löwen springt in grimmer Wut:
Er wirft ihn um, reißt ihm mit einem Streich
Die Flanken auf und schlürft des Opfers Blut.

Am Tag darauf, o Gott! welch grauses Bild!
Von leichenhügeln strotzt das Schlachtgefild.
Dein bester Freund liegt blutend mit dem Feind,
Den er bezwang, in einem Grab vereint.
Schaut, wie der Tod der Tapfren Aug' umnachtet,
Die Euer Ehrgeiz grausam hingeschlachtet!
Seht Ihr der Eltern Harm, die Tränenfiut
Der Witwen? Fluch gellt Euch im Siegesglanze.
Nein! eh Ihr ruchlos fließen laßt das Blut
Und als ein Mörder kommt zum Lorbeerkranze,
Laßt lieber all die Ehrenmale schwinden,
Die Euren Ruf an Freveltaten binden!
Um solchen Preis begehrt den Nachruhm nicht.

Übt stets an Eurem Heer die Vaterpfiicht.
Seht Euren Sohn auch in dem letzten Fechter:
Den Hirten liebt die Herde, nicht den Schlächter.
Dem Staat gehören sie; in Euren Händen ruht
Ihr Glück, drum schonet ihr, nicht Euer Blut,
Ja geizt mit ihm, solang es Mars gefällt.
Doch wenn das Wohl des Vaterlands gebeut,
Daß zwischen Freund und Feind der Würfel fällt.
Dann zaudert nicht und opfert ungescheut
Ihr Leben hin! Dann mag ihr Mut sich zeigen,
Und über Leichen sollt zum Sieg Ihr steigen!

Ein Feldherr, der Bellonas Geist verspürt,
Kämpft, wann er will, nicht, wenn's dem Feind behagt.
Des Heeres sicher, das er weise führt,
Pariert er jeden Schlag, den jener wagt.
Er denkt als Weiser, handelt als ein Held,
<428>Der statt zu warten, selbst den Gegner stellt:
Dem Angriff war das Glück noch stets geneigt.
Des Widders Wucht die stärksten Mauern bricht
Und schafft Euch freie Bahn; sein Schwergewicht
Zerstört die Türme, die der Feind besteigt
Zum letzten Widerstand. Greift immer an:
Bellonas Huld lächelt dem kühnen Mann!

Doch wenn das falsche Glück Euch nun verrät
Und zu des Feindes Fahnen übergeht,
So zeigt dem Unheil eine heitre Stirn!
Durch kluges Walten macht den Schaden gut,
Befeuert des besiegten Heeres Mut
Und findet Mittel in dem eignen Hirn.
Die Nacht erhöht der Steine lichten Schein:
So sollt Ihr groß und stark im Unglück sein;
Dann wird ein Fehlschlag Eures Ruhmes Glanz
So gut vermehren wie der Siegeskranz.
Verzweifelt nie, vertraut auf Eure Kunst:
Klugheit erzwang noch stets Fortunas Gunst!
Villars, bei Malplaquet428-1 aufs Haupt geschlagen,
Hat bei Denain428-2 den Sieg davongetragen.
Ein Tag bringt Euch das Glück, das lang Euch floh:
So wurde Villars auch des Sieges froh.

Des Kampfes Art ist mannigfach: Ihr kennt
Die großen Schläge, die man Schlachten nennt;
Da ficht bei Freund und Feind das ganze Heer.
Verschanzte Posten, Höhen, Flüsse sind
Der Schauplatz, wenn ein Treffen sich entspinnt;
Der Stellung Stärke macht sie lang und schwer.
Seht Ihr die beiden Heere dort im Feld?
In guter Ordnung ziehen sie zum Streite;
Die Front entfaltet sich zu voller Breite.
Das eine, rasch entwickelt, überfällt
Den Feind. Auf seine Flügel stürzt mit Wucht
Die Reiterei; sie wenden sich zur Flucht.

<429>

Durch Staub und Pulverdampf blitzen die Klingen;
Bald sind sie rot von Blut. Nach kurzem Ringen
Sind weit und breit die Fliehenden zerstreut.
Die Schlachtfront, der des Fußvolks Angriff dräut,
Hat keine Flügel mehr, die sie beschützen.
Schon sprüht der Tod aus hundert Feldgeschützen.
Im Sturmschritt kommt der Sieger angerückt,
Die Fahnen hoch, das Bajonett gezückt.
Der Feind verzagt und seine Reihen wanken;
Da fällt ein starkes Korps in seine Flanken!
Er weicht, er flieht; die Erde trinkt sein Blut.
Das Feuerrohr, entflammt von Blitzesglut,
Schickt Tod um Tod in die entsetzten Reihn;
In kleinen Haufen fliehn sie querfeldein;
Haupt, Ordnung, Fahnen, alles ist dahin!
Vollenden will der Sieger den Gewinn,
Den er so leichten Kaufs davongetragen,
Nicht goldne Brücken seinem Feinde schlagen;
Drum wird das Werk an einem Tag vollbracht.


So griff Eugen mit seiner ganzen Macht
Bei Höchstädt429-1 an, wo Marsin und Tallard
In schlechtgewählter Stellung standen. Er
Durchbrach ihr Zentrum und zerschnitt ihr Heer.
Die Waffen strecken mußte Schar um Schar,
Und bis zum Rheine ging die wilde Flucht:
Reich war, 0 Höchstädt, Deines Sieges Frucht!
Als bei Almansa mit dem Leun der Britten
Die Lilien kämpften und den Sieg erstritten — Dank Berwick ward der glückliche Bourbon
Herr von Castilien und Aragon429-2.

Schaut andre Treffen! Auf dem Höhenkranze,
Der herrisch aus der Ebne sich erhebt,
Steht fest ein Heer, geschützt durch Wall und Schanze.
Doch sieh den Staub, der in die Lüfte strebt!

<430>

Der Feind rückt an und rüstet sich zur Schlacht;
In einem Treffen ordnet er die Streiter.
Die Höhen sind für Rosse nicht gemacht:
Ins Hintertreffen stellt er drum die Reiter.
Der Führer sprengt, um selber zu erkunden,
Weit vor die Front. An seinem Feldherrnblick,
An Wahl von Ort und Zeit hängt das Geschick;
Schon ist des Gegners schwacher Punkt gefunden
Und sein der Sieg! Rechts dringt ein starkes Korps
Im Eisenhagel der Geschütze vor
Und stürmt bergan. Im eignen Bau gefaßt,
Entflieht der Feind verstört, in wirrer Hast.
Der Sieger nimmt geschwind den Vorteil wahr,
Und zur Verfolgung sprengt die Reiterschar.


So zwang Conde bei Freiburg430-1 das Geschick;
So siegte unter seines Königs Blick
Moritz bei Laveld, wo er heldenhaft
Die Britten, Deutschen und Bataver schlug
Und auf die Höhen seine Fahnen trug:
Viel Opfer wurden da hinweggerafft430-2.

Dies ist die Art, wie Ihr den Sieg erringt
Und Eures Feindes feste Lager zwingt.
Oft sind sie nur von regellosen Gräben,
Von schlechtgebauten Schanzen schwach umgeben.
Falsch aufgestellt, an einen Punkt gebannt,
Bleibt oft ein Teil des Heeres unverwandt,
Indes, Ihr selbst, den keine Stellung bindet,
Euch frei bewegt und Euren Vorteil findet.

Nichts hemmt den Feldherrn, dem Bellona lacht,
Wenn sich der Feind, vom Unglück scheu gemacht,
Aus Furcht, das er ihm Leid zum Leide füge,
In eines festen Lagers Schutz vergräbt.
Dann zwingt der Held ihn durch geschickte Züge,
Die Schlacht zu liefern, der er widerstrebt.

<431>

Die großen Städte nimmt er sich zum Ziel
Und schafft dem Gegner immer neue Not,
Erscheint bald hier, bald dort, führt irr, bedroht
Zugleich drei Plätze durch sein wechselnd Spiel.
Indes er Schrecken in die Herzen sät,
Der Feind in immer größre Not gerät.
Von keinem Orte kommt ihm Zufuhr mehr
Und kämpfen muß das eingeschloßne Heer.
Sieg oder Tod — dies Schicksal bleibt ihm nur.
Das junge Reh folgt stets der Mutter Spur:
So wagt der Feldherr lieber auch sein Leben,
Als seine Vorratskammern preiszugeben.

Sucht Euch der Feind die Tatkraft einzudämmen
Und Euch durch eines Stromes Lauf zu hemmen,
Mögt Ihr bei Hannibal zur Lehre gehn.
Die Römer an dem Rhoneufer siehn;
Der Konsul wähnt, nun sei der Feind gebannt;
Der aber täuscht ihn, geht an andrer Stelle
Über den Fluß431-1, eint so die List mit Schnelle,
Verspottend seines Gegners Widerstand.

Du würdiger Ritter Deiner Königin,
Mein Gegner Karl: mit unbefangnem Sinn,
Den Rache nicht und schnöder Haß verblenden,
Will ich das wohlverdiente Lob Dir spenden.
Dich hemmte nicht der Rhein, der meeresgleich
Frankreich auf ewig trennt vom Deutschen Reich.
Der Feinde Scharen an dem Strom entlang
Verwehrten Dir umsonst den Übergang.
Ein kluger Feldherr wird mit allem fertig!
Rhein, Feind, Gefahren, nichts hemmt seinen Lauf:
Karl blicht geteilt in vier Kolonnen auf
Und schlägt, wo Coigny keines Feinds gewärtig,
Kühn seine Brücke, überrascht den Feind
Und dringt ins Elsaß, eh' man es vermeint431-2.

<432>

Auch jenen Ruhmestag vergess' ich nicht,
O Ludwig, da in Deinem Angesicht
Dein Heer bei Tolhuys in den Rheinstrom sprang
Und kämpfend ihn durchschwamm, den Feind bezwang
Und aus verschanzter Stellung ihn vertrieb432-1.

Habt Ihr den Ruhm aus tiefster Seele lieb,
So strebt nach Sieg, doch seid im Sieg nicht hart!
Cäsar hat seiner Feinde Blut gespart,
Als bei Pharsalos ihm die Welt erlag.
Seht Ludwig voller Edelmut im Siege
Bei Fontenoy432-2: er lindert selbst den Schlag.
Wie wenn ein Gott vom Himmel niederstiege,
Küßt ihm der Feind die Hand, die ihn bemeistert;
Sein Mut bezwang ihn, seine Huld begeistert.
Die Güte blüht in all der Grausamkeit:
Es siegt ein Held; ein Gott allein verzeiht.

Dahin, Ihr jungen Krieger, sollt Ihr streben!
Dann werden Eure Namen auf den Schwingen
Des Ruhmes in die fernsten Zonen dringen,
Und ewig werden Eure Taten leben.
Dann steigt die Tugend aus des Himmels Höhn
Herab, beglückt, wie zu Asträas432-3 Zeit,
Helden zu finden voller Menschlichkeit,
Um zur Unsterblichkeit Euch zu erhöhn.
In ihrem Tempel, wo die Unschuld wohnt,
Wird alle Menschentugend reich belohnt.
Dort findet Ihr die Dichter und die Denker,
Die Volksbeglücker, weise Staatenlenker
Und gute Herrscher, wenig Weltbesieger,
Doch alle guten und gerechten Krieger.

Wenn Euer Geist sich einst gen Himmel schwingt
Und Ihr in jene lichten Höhen dringt,

<433>

Gedenkt des Kriegers, der zur Heldenbahn
Die Schranke durch sein Lied Euch aufgetan,
Der Euch den Weg zum Ruhmestempel wies,
Indem er Euch den Reiz der Tugend pries.


425-1 Wilhelm III., Statthalter der Niederlande und König von England, kämpfte seit 1691 in den Niederlanden unglücklich gegen die Franzosen,

425-2 Bei Turin (1706),

425-3 König Gustav Adolf von Schweden (vgl. S. 406).

428-1 1709.

428-2 1712.

429-1 1704.

429-2 Der Sieg der Spanier und Franzosen unter Marschall Berwick über die Engländer bei Almansa am 25. April 1707 entschied den Erbfolgekrieg in Spanien zugunsten des französischen Prätendenten, Herzog Philipps von Anjou, der als Philipp V, den spanischen Thron bestieg (vgl. Bd.I, S. 102 f. und 115).

430-1 1644. -

430-2 Für den Sieg des Grafen Moritz von Sachsen bei Laveld am 2. Juli 1747 vgl. S. 191 und Bd. III, S. 16.

431-1 Hannibal täuschte 218 v. Chr. den Konsul Publius Cornelius Scipio und ging über die Rhone,

431-2 Der Rheinübergang des Prinzen Karl von Lothringen erfolgte bei Germersheim zu Anfang Juli 1744 (vgl. S. 52 und Bd. II, S. 169 f.).

432-1 Durch den Übergang über den Niederrhein bei Tolhuys am 12. Juni 1672 eröffneten die Franzosen den Krieg gegen Holland (vgl. Bd. I, S. 91; Bd. VII, S. 90).

432-2 11. Mai 1745 (vgl. Bd. II, S. 206 f.),

432-3 Göttin der Gerechtigkeit, die nach dem Goldenen Zeitalter die Erde verließ und als Sternbild an den Himmel versetzt wurde.