13. Heerführung im Großen

I. Feldzugspläne106-1

Die Feldzugspläne richten sich nach den eignen Streitkräften, denen des Feindes, der Beschaffenheit des Landes, in dem man Krieg führen will, und der augenblicklichen politischen Lage Europas. Will man Krieg führen, so muß man wissen, ob man seinem Gegner an Zahl oder innerem Werte der Truppen überlegen ist, ob das Land, das man angreifen will, offen oder durch einen Fluß gedeckt oder gebirgig oder reich an Festungen ist, ob man Flüsse zum bequemeren Transport der Lebensmittel hat oder diese auf Wagen mitführen muß, ob man an der Grenze Festungen besitzt oder worin die eigne Operationsbasis besieht. Ferner muß man wissen, welche Verbündete der<107> Feind hat, worauf die mit ihnen geschlossenen Verträge beruhen, wie hoch sich ihre Streitkräfte belaufen, ob sie Hilfstruppen stellen oder Diversionen machen werden.

Die Kenntnis all dieser Dinge ist nötig, damit man die Kriegsvorbereitungen danach treffen kann. Aber die Minister nehmen diese wichtigen Fragen zu leicht; denn sie handeln meist aus Leidenschaft und unternehmen einen Krieg aus Eitelkeit oder aus blinder Habgier, ja selbst aus Haß und Groll. Wer die Geschichte liest — ich spreche nicht von vergangenen Zeiten, sondern nur vom letzten Jahrhundert —, wird sich von der Wahrheit meiner Behauptung überzeugen.

Ich glaube, ein vernünftiger Mensch, dessen Leidenschaften schweigen, wird nie einen Krieg beginnen, in dem er sich von Anfang an in der Defensive halten muß. Umsonst prahlt man mit edler Gesinnung: jeder Krieg, der nicht zu Eroberungen führt, schwächt den Sieger und entnervt den Staat. Man muß also nie zu Feindseligkeiten schreiten, wenn man nicht die gegründete Aussicht hat, Eroberungen zu machen. Das bestimmt sofort die Art des Krieges: es macht ihn offensiv. Da sich aber Europa bei all unfern Kriegen in zwei große Parteien spaltet, so entsteht daraus ein gewisses Gleichgewicht der Kräfte, und die Folge ist, daß man auch nach vielen Erfolgen nicht weitergekommen ist, wenn der allgemeine Friede geschlossen wird107-1. Ist man ferner genötigt, seine Kräfte zu teilen, um nach allen Seiten, wo man Feinde hat, Front zu machen, so vermag keine Macht die ungeheuren Kosten zu tragen, die für zwei oder drei zur Offensive bestimmte Armeen erforderlich sind. So kommt es, daß bald nur noch auf einer Seite ernstlich gerungen wird, während die andren Armeen ihre Zeit in fruchtlosen und müßigen Feldzügen vertun.

Will man sich große Erfolge versprechen, so muß man sich nur mit einem Feinde einlassen und alle seine Kräfte gegen ihn richten: dann kann man die größten Vorteile erwarten. Allein die Zeitumstände erlauben nicht immer, alles zutun, was man möchte, und so sieht man sich oft zu Maßregeln gezwungen, die die Notwendigkeit diktiert.

Am fehlerhaftesten sind die Feldzugspläne, die Euch zu weiten Vorstößen oder Pointen zwingen. Ich versiehe unter Pointen, daß man Truppenteile zu weit von seinen Grenzen vorwagt, ohne sie unterstützen zu können. Diese Methode ist so schlecht, daß alle, die sie befolgten, schlimme Erfahrungen damit gemacht haben107-2. Man muß also damit beginnen, im Großen so zu handeln, wie man im Kleinen handeln würde. Bei einer Belagerung denkt kein Mensch daran, mit der dritten Parallele zu beginnen, sondern mit der ersten. Man legt das Proviantdepot an, und alle Belagerungswerte, die man vorschiebt, müssen von den dahinterliegenden unterstützt werden. Ebenso taugen bei Schlachten nur die Dispositionen etwas, die auf gegenseitiger Unterstützung beruhen, wo kein Truppenteil ganz allein aufs Spiel gesetzt, sondern unablässig von den andren unterstützt wird. So muß man auch im Großen Krieg führen.

<108>

In einem gebirgigen Lande macht Ihr die Gebirge zur Operationsbasis, besetzt die Hauptpässe mit Detachements und stellt Euch auf der feindlichen Seite auf, um diese Linie zu halten. Denn man verteidigt garnichts, wenn man sich hinter einen Fluß oder hinter ein Gebirge stellt, sondern nur, wenn man davorbleibt. Seid Ihr in einem Lande mit vielen Festungen, so laßt keine hinter Euch, sondern erobert alle. Dann geht Ihr methodisch vor und habt nichts für Eure rückwärtigen Verbindungen zu befürchten. Nehmt Ihr viele Festungen ein, so laßt die meisten schleifen, um Euch die Besatzungen zu sparen, und erhaltet nur die, die Ihr für Eure Verproviantierung und zur Sicherung Eurer Rückzugslinie braucht.

Nachdem Ihr Euch überlegt habt, was Ihr tun wollt, versetzt Ihr Euch in die Lage des Feindes und erwägt, was er Euch in den Weg legen könnte. Darauffaßt Ihr Euren Plan nach den Schwierigkeiten, die er Euch bereiten kann. Alles muß im voraus bedacht und alles, was der Feind tun könnte, in Rechnung gesetzt werden. Denn es ist das Zeichen eines oberflächlichen oder im Kriegshandwerk unwissenden Menschen, wenn er sich sagen muß: „Das hätte ich nicht für möglich gehalten.“ Seht also alles voraus, dann habt Ihr von vornherein Mittel, um allen Schwierigkeiten zu begegnen; denn was man sich ruhig überlegt, taugt hundertmal mehr als alle auf der Stelle gefaßten Entschlüsse, die weder verdaut noch erwogen sind. Plötzliche Entschlüsse können gelingen, aber stets haben die mehr Wert, die vorher gefaßt sind.

Auch muß man wohl zwischen den Feldzugsplänen unterscheiden, die im Beginn eines Krieges entworfen sind, und denen, die nach einigen Feldzügen gefaßt werden. Die ersteren können, wenn sie gut angelegt sind, den ganzen Krieg entscheiden, versteht man alle Vorteile über den Feind auszunutzen, die Euch Eure Streitkräfte oder die Zeit oder eine Stellung, die Ihr zuerst besetzt, gewähren. Die der zweiten Art hängen von so vielen Umständen ab, daß sich unmöglich allgemeine Regeln dafür aufstellen lassen, außer daß man seine Operationsbasis zu halten sucht und keine zu weiten Vorstöße macht. Welcher Art aber alle diese Pläne auch sein mögen, die größte Aufmerksamkeit gilt vor allem der Verpflegung. Man muß nicht nur wissen, ob man für vierzehn Tage genug hat, sondern auch, ob man für den ganzen Feldzug versorgt ist.

Um im Laufe des Krieges gute Pläne zu machen, muß man Spione in den Kabinetten der Fürsten oder in den Kriegsbureaus haben. Seid Ihr über die Absichten des Feindes unterrichtet, so ist es leicht, seine Maßregeln zu durchkreuzen, und Ihr könnt stets kühn das ausführen, was er am meisten fürchtet; denn es ist eine zuverlässige Regel, das Gegenteil dessen zu tun, was der Feind möchte. Gut ist ein Kriegsplan, wenn Ihr wenig aufs Spiel setzt, den Feind aber in Gefahr bringt, alles zu verlieren. Beispiele: der Überfall von Cremona108-1, die Schlachten von<109> Luzzara und Cassano109-1, Turennes Vorstoß über Thann und Belfort109-2 usw. List mit Stärke gepaart, macht den vollkommenen Feldherrn. Es ist eine große Kunst, den Feind zu täuschen, aber es muß auf glaubwürdige Art geschehen. Beispiele: Star-hembergs Übergang über die Adda, um dem König von Sardinien zu Hilfe zu kommen (1704); Prinz Eugen vor der Schlacht von Turin (1706); der Marschall von Luxemburg bei Neerwinden109-3 — NB. ein Meisterstück. Das sind die großen Vorbilder, die man studieren muß. Aber der Krieg mit leichten Truppen, wie ihn die Österreicher führen, legt dem Heerführer Fesseln an. Er wird dadurch auf die Defensive beschränkt und hat große Mühe, seinen Feinden Respekt abzunötigen.

II. Defensivkriege

Pläne zu einem Defensivkrieg stützen sich auf feste Lager in vorteilhaftem Gelände, die man mit der Armee bezieht, und auf Detachements, die man rechts und links vom Feinde ausschickt, um ihm seine Lebensmittel wegzunehmen, seine Fouragierungstruppen zu schlagen, ihn zu schwächen und allmählich zu vernichten, durch Wegnahme der Lebensmittel Mangel bei seinen Truppen herbeizuführen, sie zur Desertion anzureizen und nach der Kriegsraison Vorteil daraus zu ziehen. Man darf sich nie völlig auf die Defensive beschränken, noch sich des Vorteils begeben, aus den Fehlern des Feindes Nutzen zu ziehen. Dazu wurde die Armee Catinats gezwungen, als sie die Provence, Savoyen und das Dauphiné decken sollte und an Proviantwagen und Maultieren Mangel litt, sodaß sie, um nicht zu verhungern, an ihre Stellung festgenagelt war (1701).

Eine gut geleitete Defensive muß ganz das Aussehen einer Offensive haben. Unterscheiden darf sie sich von ihr nur durch die festen Lager und die vorsichtige Vermeidung jeder Schlacht, wenn man seiner Sache nicht ganz sicher ist. Gerade bei dieser Kriegsart muß man alles anwenden, was Belästigung des Gegners, Schlauheit und Kriegslist heißt. Ein Heerführer, der dies Spiel versteht, wird seine Defensive bald in eine kühne Offensive verwandeln. Er muß dem Feinde nur zweimal Gelegenheit bieten, Fehler zu machen, um sie gleich auszunutzen und dadurch dem Krieg eine andre Wendung zu geben.

Für uns Preußen ist es sehr schwer, einen solchen Defensivkrieg gegen die Österreicher zu führen, und zwar wegen ihrer großen Überlegenheit an leichten Truppen zu Fuß wie zu Pferde. Unsre Infanterie gleicht den römischen Legionen: sie ist für Schlachten geschaffen und ausgebildet; ihre Stärke liegt in ihrem Zusammenhalt und in ihrer Widerstandskraft. Ganz anders ist die Fechtweise der leichten Truppen. Leichte Infanterie haben wir überhaupt nicht, und unsre Husaren sind nicht zahlreich genug, um sich im Kleinkriege mit denen der Königin von Ungarn zu messen. Um<110> eine Art von Gleichgewicht zwischen unsern beiden Armeen herzustellen, brauche ich ganz bestimmt noch mindestens 2 000 Husaren und ein Korps von 4200 Mann leichte Infanterie, die in Freikompagnien eingeteilt werden110-1. Doch es ist nur eine Frage der Zeit und der Finanzen, solche vorzüglichen Einrichtungen zu treffen, die im Kriegsfalle über kurz oder lang doch nötig werden.

III. Falsche und wahre Demonstrationen des Feindes

Sehr schwer ist es, die wahren und falschen Demonstrationen des Feindes mit Bestimmtheit zu unterscheiden. Nachfolgend alles über diesen Gegenstand, was Hand und Fuß hat. Die beste Methode, bei der Prinz Eugen stets gut gefahren ist, besieht darin, einen brauchbaren Spion am Hofe des Herrschers zu haben, mit dem man Krieg führt, oder wenigstens einen Spion von Rang in der feindlichen Armee, der Euch über die Absichten seines Heerführers unterrichtet. Fehlen Euch diese beiden Mittel, so muß man die Methode des feindlichen Heerführers studieren, mit dem Ihr zu tun habt. Die meisten Heerführer befolgen fast ein und dasselbe Schema110-2. Kennt man dies, so kann man sowohl aus ihren Bewegungen wie aus dem Verhalten der leichten Truppen ihre Absichten erraten, und wenn sie verschiedene Pläne ausführen können, ist es das sicherste, anzunehmen, daß sie das tun werden, was Euch am meisten schaden kann. Sucht Ihr ihnen darin zuvorzukommen, und sie führen einen andren Plan aus, so wird dessen Gelingen Euch wenigstens nicht so nachteilig sein. Eine gute Methode ist, sich dicht am Feinde zu lagern. Dann seht Ihr, was er tut, und seid imstande, Euch seinen Plänen zu widersetzen. Steht er dagegen mehrere Tagemärsche von Euch entfernt, so bringt man Euch immerfort falsche Nachrichten, und es kann geschehen, daß Ihr eine unzeitige Bewegung macht, durch die Ihr alles verderbt. Habt Ihr dagegen den Feind vor Euch, so braucht Ihr nur die Augen aufzumachen, um zu wissen, was er tut. Zudem sind die Lager dicht am Feinde die friedlichsten, sobald alles in Ordnung ist.

Was in unsren Kriegen vor allem des Schutzes bedarf, das sind die Magazine; gegen sie müssen sich die meisten feindlichen Anschläge richten. Das Gewinnen von Defileen oder Pässen, von denen der Erfolg eines Feldzugs abhängt, ist ein andrer Anlaß zu Marschbewegungen. Schließlich muß man, wenn man detachierte Korps hat, sehr darauf achten, daß man ihnen Hilfe bringen kann, falls der Feind mit seiner ganzen Armee versuchen sollte, eins von ihnen zu vernichten. Das aber kann man beim Feinde voraussetzen, sobald eine starke Abteilung von leichten Truppen die Verbindung zwischen Euch und dem Detachement unterbricht. Dann müßt Ihr ohne Zaudern die leichten Truppen verjagen, um dem detachierten Korps Hilfe zu bringen.<111> Denn ist es nicht schon mit dem Feind handgemein geworden, so wird es unverzüglich dazu kommen.

Aus all diesen Rücksichten und verschiedenen Maßnahmen ergibt sich, daß ein Heerführer von unermüdlicher Wachsamkeit sein, an alles denken, alles voraussehen und auch die unbedeutendsten Schritte des Feindes beachten muß. Läßt er während des ganzen Feldzuges auch nur die geringste dieser Rücksichten außer acht, so kann er sicher sein, daß der Feind es ihn bald bereuen lassen wird.

IV. Kriegslisten

Es gibt so vielerlei Listen, daß es schwer fallen dürfte, sie alle aufzuführen. Es gibt Listen im Belagerungskriege, im Feldkriege, bei Überfällen und schließlich bei den Gefechtsdispositionen. Zweck der Kriegslisten ist, den Feind zu täuschen und ihm die eignen Pläne zu verhüllen.

Im Belagerungskriege hat die List doppelten Zweck: einmal, den Feind von dem Platze, den man belagern will, abzuziehen, und zweitens, die Besatzung der Festung zu schwächen. Zu dem Zweck errichtet man an zwei verschiedenen Orten Magazine. (NB. Diese List ist zu kostspielig, um oft und von jedermann angewandt zu werden.) Man versammelt die Armee an einer Stelle, die von dem Platze, den man wirklich belagern will, weit entfernt liegt, und macht Miene, einen andern Platz einzuschließen. Das führt gewöhnlich dazu, daß der Feind Truppen aus den ferner gelegenen Plätzen heranzieht, um die Besatzung der scheinbar bedrohten Festung zu verstärken. Dann wendet man sich mit Detachements und durch Gegenmärsche plötzlich gegen den Platz, auf den man es abgesehen hat und dessen Besatzung inzwischen durch die Abgabe von Truppen geschwächt ist.

Zahllos sind die Listen im Feldkriege. Sie bestehen teils in Aussprengung von Absichten, die man garnicht hegt, um die, welche man wirtlich hat, zu verhüllen, teils in abgekarteten Marschbewegungen. So läßt man ein Korps nach einer Seite marschieren und trifft alle Anordnungen danach, ihm zu folgen, blicht aber nach der andren Seite auf, sodaß die vermeintliche Avantgarde zur Arrieregarde wird. Im reinen Offensivkrieg stellt man sich, als wolle man an drei verschiedenen Punkten ins feindliche Land eindringen, und verbirgt dadurch die Stelle des wirklichen Einmarsches, um hier weniger Widerstand zu finden. Flußübergänge erfordern viele solcher Listen, und der Schlauste gewinnt. Es kommt dann gleichfalls darauf an, dem Feinde die Stelle zu verbergen, wo man den Fluß überschreiten will, um beim Übergang weniger Widerstand zu finden und Zeit zu haben, ihn mit der ganzen Armee auszuführen, bevor der Feind Nachricht davon bekommt. Ein Treffen im Lager zu lassen und mit dem andern des Nachts abzumarschieren, ist eine Kriegslist. Wachtfeuer in einem Lager, das man räumt, anzuzünden und Leute darin zu lassen, die Lärm<112> machen, ist eine Kriegslist, um dem Feinde seinen Aufbruch zu verbergen. Alle Scheinangriffe sind Kriegslisten, z. B. wenn man ein Korps abschickt, das Scheinbewegungen macht, als wollte es die feindliche Armee angreifen, sich aber auf kein Gefecht einläßt, während man ein schlecht aufgestelltes Detachement des Feindes angreift und vernichtet. Hat der Feind Respekt vor Euch, Ihr aber haltet es für gut, eine Schlacht zu liefern, so wiegt Ihr ihn in Sicherheit, stellt Euch, als ob Ihr ihn fürchtet, laßt Wege nach rückwärts anlegen: so wird seine Eigenliebe Euch bessere Dienste leisten als Eure Stärke. Ist er zu verwegen, so stellt Ihr Euch, als wolltet Ihr es auf eine Schlacht ankommen lassen, versucht, ein kleines Detachement zu schlagen, ihn zu belästigen, und Ihr werdet leichteres Spiel mit ihm haben. Ist er stärker und zahlreicher als Ihr, so wendet alle Eure List an, um ihn zu Detachierungen zu verleiten, und ist dies geschehen, so nehmt den Augenblick wahr, um ihn zu schlagen.

Es gibt Kriegslisten zum Überfall auf Festungen, zum Beispiel die Überrumpelung Cremonas durch Prinz Eugen112-1. Es gibt Listen, um dem Feind Eure Absicht zu verbergen. So hat der, der im Winter seine Truppen zuerst versammelt und über die feindlichen Quartiere herfällt, allemal gewonnenes Spiel. Hier gilt es, dem Feinde die Versammlung Eurer Truppen zu verbergen oder sie anders zu motivieren. Solche Vorwände sind Ablösung der Postenkette der Winterquartiere oder Quartierwechsel einiger Regimenter. Die genaue Marschdisposition der Truppen nach ihrem Sammelpunkt wird Euer Unternehmen entscheiden.

Auch die Verschanzungen können unter die Kriegslisten gerechnet werden, wenn man sie zu dem Zweck anlegt. Das darf indes nur dazu dienen, den Feind verwegner zu machen und ihn zu verleiten, angesichts Eurer Armee gewagte Manöver auszuführen, z. B. ihr die Flanke darzubieten, seine Märsche nicht zu sichern oder in Eurer Nähe über einen Fluß zu gehen. Dann ist es Zeit, die Verschanzung zu verlassen, um den Feind für seine Torheit zu strafen. Um nun alle Eure Maßnahmen nach dem vorgesetzten Ziele zu richten, müßt Ihr zahlreiche Öffnungen in der Verschanzung anbringen lassen, damit Ihr ungehindert daraus hervorbrechen könnt. Man macht Scheindetachements, die man kurz danach zurückzieht, ordnet Fouragierungen an, um den Feind zu verleiten, daß er seine Kavallerie auf Fouragierung schickt. Dann gibt man Gegenbefehl und fällt über seine Armee her, die durch die Abwesenheit der Fourageure geschwächt ist. Auf dem Marsche läßt man in der Nähe des Feindes falsche Kolonnenspitzen erscheinen, um ihn irrezuführen. Kurz, ich fände kein Ende, wollte ich all die Kniffe aufzählen, zu denen sich Gelegenheit bietet und die man im Kriege zur Täuschung des Feindes benutzt.

Ich komme nun zu den Listen bei den Schlacht- und Marschdispositionen. Unser Marsch in geschlossenen Kolonnen, die dem Feinde die Front bieten und sich plötzlich<113> in eine schräge Schlachtordnung verwandeln113-1, kann dazu gerechnet werden, ebenso die Maskierung unster Infanteriekolonnen hinter einem Kavallerieftügel bis zu dem Augenblick, wo wir sie einsetzen wollen. Auch die von der Kavallerie verschleierten Kolonnen, die auf 600 Schritt zum Vorschein kommen, aufmarschieren und feuern, gehören hierher, desgleichen die bei den Österreichern gebräuchliche Aufstellung von Infanteriekarrees hinter der Kavallerie113-2, ferner im Gelände versteckte Kavallerie, die man unvermutet hinter einer Geländedeckung in die Flanke oder den Rücken des Feindes wirft, schließlich auch das Verbergen eines Korps an Schlachttagen im Buschwerk oder in einem Talgrunde, aus dem es dann plötzlich als Hilfskorps hervorkommt, wodurch es den Feind entmutigt und Eure Truppen mit neuem Vertrauen erfüllt. Alle Scheinangriffe gegen eine in fester Stellung befindliche Armee gehören zur Kriegslist; denn sie dienen dazu, die Aufmerksamkeit des Gegners zu teilen und ihn von dem Plane, den Ihr gefaßt habt, und von der Stelle, wo Ihr durchbrechen wollt, abzulenken. Beim Angriff auf Verschanzungen benutzt man nahe gelegene Mulden zum Aufmarsch der Truppen, mit denen man den Durchbruch ausführen will. Auch das geschieht, wie gesagt, um den Feind irrezuführen.

Oft müßt Ihr nicht nur den Gegner, sondern auch Eure eigne Armee täuschen, und zwar geschieht dies in der Defensive. Das nenne ich standhafte Kriegführung113-3. Als Turenne im Jahre 1673 das Elsaß gegen die doppelt so starke Armee des Großen Kurfürsten und Bournonvilles verteidigte113-4, wich er bis nach Zabern, Bitsch und Lützelstein zurück. Dies letzte Lager, das er zu räumen beabsichtigte, um nach Lothringen abzuziehen, ließ er noch am Tage vor seinem Abmarsch befestigen; dadurch wurde sowohl seine Armee wie der Feind getäuscht. Am nächsten Tage brach er das Lager ab und vollzog seinen Rückmarsch nach Lothringen ohne Verluste. Eine Armee soll also stets ihre Haltung bewahren, und wenn sie im Begriff ist, sich zurückzuziehen, so dreist auftreten, daß der Feind vielmehr glauben kann, sie wolle eine Schlacht liefern. Hat sie dann die schwierigen Stellen ihrer Rückzugslinie gut besetzt, muß sie so schnell wie möglich aufbrechen, aber ohne daß die Ordnung darunter leidet. Die schachbrettförmige Aufstellung in mehreren Treffen scheint mir dazu die beste. Die letzten Truppen brechen dann mit den Enden oder Flügeln ab, sodaß die noch stehenden Teile der Armee stets von den zuvor am Defilee aufgestellten Truppen unterstützt werden.

Verbergt also dem Feinde stets Eure Absichten und suchet die seinen zu erforschen; überlegt lange, aber handelt energisch und rasch; laßt nie Mangel an Lebensmitteln eintreten: dann werdet Ihr mit der Zeit den Feind bezwingen. Schlafet aber nie ein, besonders bleibet nach Euren Erfolgen wach: das Glück ist gefährlich; denn es flößt Sicherheit und Geringschätzung des Feindes ein. Infolgedessen verlor selbst ein<114> so großer Feldherr wie Prinz Eugen seine Magazine bei Marchiennes nach der Schlacht bei Denain (24. Juli 1712).

V. Wie man den leichten Truppen der Königin von Ungam entgegentreten kann

Wegen der leichten Truppen der Königin von Ungarn müssen sogleich rechts und links von der Armee zwei Detachements gebildet werden, damit sie Euch nicht umgehen. Man kann Husaren den Husaren, Infanterie der Infanterie entgegenstellen. Da wir aber keine leichte Infanterie haben, so weiden wir ernstlich daran denken müssen, sie mit der Zeit irgendwie zu beschaffen. Man könnte leicht ein bis zwei Regimenter aus französischen Deserteuren bilden und alte Offiziere, die bei der letzten Heeresentlassung abgedankt sind, zu Führern nehmen. Sie dürfen aber nur im Kleinkriege verwandt werden, zur Beunruhigung der feindlichen Feldwachen und Detachements, zur Aufhebung kleiner schlecht postierter Abteilungen, kurz, zum Freischarendienst.

Aber das Haupthindernis ist die freiwillige oder erzwungene Parteinahme der Einwohner. Sie wird den leichten Truppen der Königin von Ungarn in ihren Ländern stets das Übergewicht geben. Infolgedessen erfährt unsre Armee dort garnichts, während der Feind gleich vom geringsten Detachement Wind bekommt, das aus unserm Lager aufbricht. Wir können uns gegen die einheimischen Spione nicht schützen; denn unsre Armee muß leben und unter den vielen, die uns Lebensmittel verkaufen, sind sicher Spione. Die Feldwachen mögen noch so wachsam sein: wie sollen sie einen Spion von einem andern Bauern unterscheiden? Da dies also unmöglich ist, müssen wir den Krieg so geschlossen wie möglich führen, nur starke Detachements von der Armee absenden und nur ganz sichre Dinge unternehmen.

Im Verlauf des Feldzuges hat man nichts Erhebliches von den leichten Truppen zu befürchten. Ihr Ziel ist Beutemachen, und was ihre Führer auch tun mögen, die Neigung zum Plündern werden sie ihnen nie austreiben. Zwei Monate im Felde werden ihre alte Gewohnheit wieder so weit fördern wie im letzten Kriege. Die Königin von Ungarn hat von diesen leichten Truppen also keinen weiteren Vorteil, als daß sie unsre Transportbedeckungen und Fouragierungen belästigen und dadurch unsre Truppen ermüden; denn wir müssen stets die dreifache Zahl dazu nehmen wie sie. Aber für unsre Armee sind sie eine gute Schule, da diese ununterbrochenen Scharmützel sie an den Krieg gewöhnen und sie die Gefahr verachten lassen. Die Offiziere lernen etwas, während unsre Feinde in einem festen Lager wie in ihrer Garnison stehen. Infolgedessen macht eine bevorstehende Schlacht einen viel stärkeren Eindruck auf sie als auf unsre Truppen, die durch den unaufhörlichen Kleinkrieg mit der Gefahr vertraut sind. Schaden können uns also die leichten Truppen nur in einem Falle tun, nämlich bei Rückzügen, aber auch dann nur, wenn der Marsch durch gebirgiges,<115> waldreiches und schwieriges Gelände führt. Da kommt man nicht ohne Verluste davon, welche Anordnungen und Vorsichtsmaßregeln man auch ergreifen möge. In solchen Fällen muß man seinen Aufbruch verheimlichen, um sich dem Feinde unvermerkt zu entziehen. So ist die List zu allem gut, während die Gewalt nur für bestimmte Fälle taugt.

Das sind einige kurze Betrachtungen über den Krieg, die ich in meiner Mußezeit angestellt habe. Ihr Zweck war mehr, meine eignen Ansichten zu berichtigen und die Grundsätze der Kriegskunst zu meinem Gebrauch zu wiederholen, als andre zu belehren.


106-1 Vgl. S. 8 ff.

107-1 Vgl. Bd. II, S. 52 und 269 f.; VII, S. 158.

107-2 Vgl. S. 8f. und Bd. II, S. 176 und 199.

108-1 Vgl. S. 31.54.

109-1 Am 15. August 1702 und am 16. August 1705.

109-2 Vgl. S. 31. 83.

109-3 Vgl. S. 38.

110-1 Die Errichtung solcher Freitruppen erfolgte während des Siebenjährigen Krieges. Vgl. S. 114.

110-2 Vgl. S. 41.

112-1 Vgl. S. 108.

113-1 Vgl. S. 6.

113-2 Vgl. S. 98 f.

113-3 Vgl. „Grundsätze der Lagerkunst und der Taktik“, Kap. 38 (S. 182).

113-4 Vgl. Bd. I. S. 72.