<373> gewesen. Man hat eine Armee mit einem Gebäude verglichen, dessen Grundlage der Magen ist, da die erste Sorge eines Feldherrn der Ernährung seiner Truppen gelten muß1. Was zum Unglück des Schwedenkönigs am meisten beitrug, war die geringe Sorgfalt für die Verpflegung seiner Armee. Wie kann man einen Feldherrn loben, wenn er von den Truppen verlangt, daß sie leben, ohne zu essen, daß sie unermüdlich und unsterblich sind? Man tadelt Karl XII., daß er den Versprechungen Mazeppas zu leichtfertig getraut habe. Aber der Kosakenhetman täuschte ihn nicht. Er selbst wurde durch eine Verkettung unberechenbarer Ursachen getauscht, die man garnicht vorhersehen tonnte. Zudem sind Geister vom Schlage Karls XII. niemals argwöhnisch. Sie werden nicht eher mißtrauisch, als bis sie die Bosheit und den Undank der Menschen oft erfahren haben.

Doch kehren wir zur Prüfung von Karls Feldzugsplan zurück. Ich kann zwar nicht wie Correggio sagen: „Son pittore anch' io2“, wage aber doch eine Mutmaßung. Wollte der König damals, so scheint mir, den Fehler wieder gutmachen, daß er den Zaren zu lange vernachlässigt hatte, so mußte er zum Eindringen in Rußland den bequemsten Weg und zur Niederwerfung seines mächtigen Gegners die sichersten Mittel wählen. Der Weg ging aber sicher nicht über Smolensk noch durch die Ukraine. In beiden Fällen waren ausgedehnte Sümpfe, ungeheure Wüsteneien und große Flüsse zu passieren; und dann mußte er noch durch ein halbwildes Land ziehen, um nach Moskau zu gelangen. Durch diesen Marsch beraubte sich der König aller Hilfe aus Polen und Schweden. Je tiefer er in Rußland eindrang, um so mehr war er vom eignen Lande abgeschnitten. Zur Ausführung dieses Unternehmens bedurfte es mehr als eines Feldzuges. Woher sollte er Lebensmittel nehmen? Auf welchem Wege sollte er Nachschub erhalten? Welchen Kosaken- oder Moskowiterflecken konnte er zum Waffenplatz machen? Wo neue Waffen, Uniformen und alle jene ebenso gewöhnlichen wie notwendigen Dinge finden, die man zum Unterhalt einer Armee immerfort braucht und erneuern muß? Bei so vielen unüberwindlichen Schwierigkeiten war vorauszusehen, daß die Schweden bei jenem Zuge an Beschwerden und Hunger zugrunde gehen, ja, daß selbst ein Sieg sie aufreiben mußte. Und wenn schon Erfolge bei jenem Kriege so traurige Aussichten boten, was war erst im Fall eines Unglücks zu erwarten? Eine sonst leicht zu verwindende Schlappe wird zur endgültigen Katastrophe für eine Armee, die sich in ein wüstes Land ohne feste Plätze und folglich auch ohne Zufluchtsort hineinwagt.

Statt so vielen Schwierigkeiten und Hindernissen zu trotzen, bot sich ein viel natürlicherer Plan dar, der sich wie von selbst gemacht hätte, nämlich der Marsch durch Livland und Ingermanland stracks auf Petersburg zu. Die schwedische Flotte und die Transportschiffe konnten der Armee längs der Ostseeküste zur Seite bleiben


1 Vgl. S. 15 und 202.

2 „Auch ich bin ein Maler.“ Correggios Worte angesichts der Gemälde on Raffael.