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Es ist hier nicht der Ort, nachzuprüfen, mit welchem Rechte Cäsar die Republik unterdrückte, deren Mitbürger er war, ob Kardinal Richelieu im Laufe seiner Regierung Frankreich mehr geschadet als genutzt hat oder ob man Turenne tadeln soll, weil er zu den Spaniern überging1. Es handelt sich hier nur um die an sich bewundernswerten Talente und nicht um den rechten oder tadelnswerten Gebrauch, den ihre Besitzer von ihnen machten.

Obwohl die politischen Berechnungen bei Karl XII. oft den heftigen Leidenschaften weichen mußten, denen er unterworfen war, ist er nichtsdestoweniger einer der außerordentlichen Männer gewesen, die in Europa am meisten Aufsehen erregt haben. Er hat die Augen der Kriegsmänner durch eine Fülle immer glänzenderer Taten geblendet. Er hat die grausamsten Schicksalsschläge erlitten, ist der Schiedsrichter des Nordens, Flüchtling und Gefangener in der Türkei gewesen. Ein so berühmter Feldherr verdient nähere Betrachtung. Für alle, die den Waffenberuf ergriffen haben, ist es nützlich, die Ursachen seines Mißgeschicks zu ergründen. Ich gedenke keineswegs, den Ruf dieses hervorragenden Kriegshelden zu schmälern; ich will ihn nur richtig würdigen und bestimmt wissen, in welchen Fällen man ihn unbedenklich nachahmen kann und in welchen man sich hüten muh, ihn zum Vorbild zu nehmen.

In jeder beliebigen Wissenschaft ist es ebenso lächerlich, sich ein vollkommenes Wesen auszudenken, wie zu wollen, daß Feuer den Durst löscht oder daß Wasser sättigt. Wer einen Helden eines Fehlers zeiht, erinnert nur daran, daß er ein Mensch ist. Könige, Minister, Generale, Schriftsteller, kurz alle, die durch ihre hohe Stellung oder ihre Talente die Augen des Publikums auf sich lenken, müssen sich dem Urteil ihrer Zeitgenossen und der Nachwelt fügen. So wie nur die guten Bücher kritisiert werden, da es bei den schlechten nicht lohnt, wenden sich auch die Blicke von der gemeinen Menge ab und heften sich mit prüfender Sorgfalt auf die überlegenen Talente, die es unternommen haben, neue Wege zu bahnen.

Karl XII. ist in vieler Hinsicht entschuldbar, wenn er nicht alle Vollkommenheiten eines Kriegsmannes in sich vereint hat. Eine so schwierige Wissenschaft wie die Kriegskunst wird keinem von der Natur eingeimpft. Mögen die angeborenen Anlagen noch so groß sein, es bedarf gründlichen Studiums und langer Erfahrung, um sie auszubilden. Entweder muß man seine Lehrzeit in der Schule und unter den Augen eines großen Feldherrn durchgemacht haben, oder man muß die Regeln nach vielen Fehlern auf eigne Kosten lernen. Die Fähigkeit eines Mannes, der mit sechzehn Jahren König wird, darf man füglich bezweifeln. Karl XII. sah den Feind nicht eher, als bis er zum erstenmal an der Spitze seiner Truppen stand.

Hierbei muß ich bemerken, daß alle, die in früher Jugend Armeen führten, sich eingebildet haben, die ganze Kunst bestände nur in Tapferkeit und Verwegenheit.


1 Im Jahre 1650 während der Kämpfe der Fronde.