<107> Feind hat, worauf die mit ihnen geschlossenen Verträge beruhen, wie hoch sich ihre Streitkräfte belaufen, ob sie Hilfstruppen stellen oder Diversionen machen werden.

Die Kenntnis all dieser Dinge ist nötig, damit man die Kriegsvorbereitungen danach treffen kann. Aber die Minister nehmen diese wichtigen Fragen zu leicht; denn sie handeln meist aus Leidenschaft und unternehmen einen Krieg aus Eitelkeit oder aus blinder Habgier, ja selbst aus Haß und Groll. Wer die Geschichte liest — ich spreche nicht von vergangenen Zeiten, sondern nur vom letzten Jahrhundert —, wird sich von der Wahrheit meiner Behauptung überzeugen.

Ich glaube, ein vernünftiger Mensch, dessen Leidenschaften schweigen, wird nie einen Krieg beginnen, in dem er sich von Anfang an in der Defensive halten muß. Umsonst prahlt man mit edler Gesinnung: jeder Krieg, der nicht zu Eroberungen führt, schwächt den Sieger und entnervt den Staat. Man muß also nie zu Feindseligkeiten schreiten, wenn man nicht die gegründete Aussicht hat, Eroberungen zu machen. Das bestimmt sofort die Art des Krieges: es macht ihn offensiv. Da sich aber Europa bei all unfern Kriegen in zwei große Parteien spaltet, so entsteht daraus ein gewisses Gleichgewicht der Kräfte, und die Folge ist, daß man auch nach vielen Erfolgen nicht weitergekommen ist, wenn der allgemeine Friede geschlossen wird1. Ist man ferner genötigt, seine Kräfte zu teilen, um nach allen Seiten, wo man Feinde hat, Front zu machen, so vermag keine Macht die ungeheuren Kosten zu tragen, die für zwei oder drei zur Offensive bestimmte Armeen erforderlich sind. So kommt es, daß bald nur noch auf einer Seite ernstlich gerungen wird, während die andren Armeen ihre Zeit in fruchtlosen und müßigen Feldzügen vertun.

Will man sich große Erfolge versprechen, so muß man sich nur mit einem Feinde einlassen und alle seine Kräfte gegen ihn richten: dann kann man die größten Vorteile erwarten. Allein die Zeitumstände erlauben nicht immer, alles zutun, was man möchte, und so sieht man sich oft zu Maßregeln gezwungen, die die Notwendigkeit diktiert.

Am fehlerhaftesten sind die Feldzugspläne, die Euch zu weiten Vorstößen oder Pointen zwingen. Ich versiehe unter Pointen, daß man Truppenteile zu weit von seinen Grenzen vorwagt, ohne sie unterstützen zu können. Diese Methode ist so schlecht, daß alle, die sie befolgten, schlimme Erfahrungen damit gemacht haben2. Man muß also damit beginnen, im Großen so zu handeln, wie man im Kleinen handeln würde. Bei einer Belagerung denkt kein Mensch daran, mit der dritten Parallele zu beginnen, sondern mit der ersten. Man legt das Proviantdepot an, und alle Belagerungswerte, die man vorschiebt, müssen von den dahinterliegenden unterstützt werden. Ebenso taugen bei Schlachten nur die Dispositionen etwas, die auf gegenseitiger Unterstützung beruhen, wo kein Truppenteil ganz allein aufs Spiel gesetzt, sondern unablässig von den andren unterstützt wird. So muß man auch im Großen Krieg führen.


1 Vgl. Bd. II, S. 52 und 269 f.; VII, S. 158.

2 Vgl. S. 8f. und Bd. II, S. 176 und 199.