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Schreiben der Marquise von Pompadour an die Königin von Ungarn203-1
(Anfang 1759)

holde Königin! Die Liebenswürdigkeiten, die Ew. Majestät mir zu schreiben ge-

ruhen, sind für mich unschätzbar. Ich möchte mich Ihrer Güte und des Vertrauens, das Sie in meinen Eifer setzen, würdig zeigen. Es war der schönste Augenblick meines Lebens, wo ich zur Annäherung und zum ewigen Bündnis zwischen den beiden mächtigsten Monarchen Europas beitragen konnte und es mir gelang, die alten, lächerlichen Vorurteile auszurotten, die bei dem eingefleischten Haß<204> der Völker nur zu tiefe Wurzeln geschlagen haben. Sie sind jetzt so gründlich zerstört, daß Ew. Majestät auf die aufrichtige Anhänglichkeit des Herrschers und des gesundesten Teiles der Nation rechnen können. Ja, Ew. Majestät dürfen mich nicht für eine Schmeichlerin halten, wenn ich Ihnen sage, wir Franzosen hegen die gleiche Verehrung für Sie wie Ihre Untertanen.

Unsere Nation hat neben vielen Fehlern den Vorzug, daß sie großen Eigenschaften gerecht wird, und wäre es selbst bei ihren Feinden. Ew. Majestät haben so Großes vollbracht, haben Ihrem Geschlecht so viel Ehre gemacht, daß Sie sich nicht wundern können, wenn die Franzosen sich für Sie begeistern. Die, welche das Glück hatten, sich Ihnen zu Füßen zu werfen und Sie von Angesicht zu Angesicht zu bewundern, sind unerschöpflich über dies Thema. Ihre Gefühle teilen sich mit, greifen um sich, verbreiten sich, und die Öffentlichkeit bewundert einstimmig so viel erhabene und große Eigenschaften.

Habe ich mein Schicksal anzuklagen, so ist es, weil es mir bisher noch nicht verstattet war, Ihnen meine Aufwartung zu machen, ein Vorzug, den ich allen Gunstbezeugungen Fortunas vorzöge und auf den ich um keinen Preis verzichten möchte. Doch gestatten Ew. Majestät, Ihnen mein Herz mit dem Freimut zu öffnen, zu dem Sie mich durch Ihre Güte ermuntert und berechtigt haben. Finde ich je Gelegenheit zur Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches, tritt je der Augenblick ein, wo ich mich Ihnen zu Füßen werfen kann, wünschten Ew. Majestät dann, daß ich mit Zittern der unvergleichlichen Fürstin nahe, die ich verehre und die mich mit dem Titel „liebe Freundin“ auszeichnet?

Und doch könnte ich nur bebenden Herzens vor Ew. Majestät treten. Wien muß eine Stadt sein, die Ihre Gegenwart zaubervoll macht; nur ein einziger kritischer Punkt läßt mich vor Schrecken zu Eis erstarren. Sie besitzen hervorragende Eigenschaften genug, um einen leichten Fehler zuzudecken. Sie sind Ihrem ganzen Geschlecht so überlegen, daß ich Ihnen ungescheut einige Wirkungen der leichten Schwäche zum Vorwurf mache, die mir den Aufenthalt in Ihren Staaten unmöglich machen. Ew. Majestät erraten es selbst: es ist das schreckliche Tribunal, vor dem mir graust, die Inquisition, die tyrannisch und despotisch über Herz und Gefühl schaltet. Bitte, geruhen Ew. Majestät dies Tribunal aufzuheben! Schaffen Sie das Härteste aller Gerichte ab und fügen Sie zur Zahl Ihrer großen Tugenden auch die Toleranz gegen die liebenswerteste aller menschlichen Schwächen. Fordern Sie von den schwachen Sterblichen keine der Vollkommenheiten, mit denen die sonst so karge Natur Sie so verschwenderisch ausgestattet hat. Dulden Sie, daß in Ihrer Hauptstadt die freie Neigung und nicht die Sakramente der heiligen römischen Kirche die Herzen zusammenführt. Gestatten Sie, daß man ungestraft ein zärtliches Gemüt habe, ohne eine stets höchst peinliche Schmach erdulden zu müssen oder gar Ihre Ungnade, was noch schlimmer ist als alles andere. Glauben Ew. Majestät, wenn ich nach Wien käme, bloß um Ihnen zu Füßen zu fallen, ich wollte Gefahr laufen, weiter reisen zu<205> müssen und in Temesvar zu enden? Davor behüte mich Venus für immer! Ich will nicht nach Ungarn. Wie entsetzlich für eine Französin, die die Vorurteile der strengen, rauhen Schamhaftigkeit nicht kennt! Ich will weiter nichts, als Sie sehen, Sie hören und bewundern. Aber ich möchte frei sein; keine Inquisition, nichts, was mich behindert, was meinem Frohsinn Zügel anlegt und den Launen meines Herzens. Schranken zieht. Ew. Majestät werden darum nicht weniger apostolisch sein; denn, um Ihnen nichts zu verheimlichen, hatten die Apostel, Ihre Vorgänger, Schwestern bei sich, und man müßte zu harmlos sein, um zu glauben, es seien nur Betschwestern gewesen. In Rom geht man weiter: der Vater aller Gläubigen gestattet gegen Ablaß selbst die Stätten der Ausschweifung, und wenn man nur bezahlt, ist er zufrieden. Dieser gute Vater hat Mitleid mit den Schwächen seiner Kinder. Er wendet ihre kleinen Sünden zum Guten durch das Geld, das der Kirche zufließt.

Die Welt war zu allen Zeiten die gleiche. Sie bedarf des Vergnügens und der Freiheit in ihrem Vergnügen. Ihre getreuen Untertanen, die Ihren Geboten in allem folgen, gehorchen Ew. Majestät in diesem einzigen Punkte nicht, und trotz jenes furchtbaren Tribunals sieht Wien in seiner Lebensweise hinter Paris nicht zurück. Ich werde bei Ihnen vorstellig im Namen Ihrer sämtlichen Staaten. Die Vornehmen langweilen sich trotz Prunk und Größe; denn Stolz ist eine trübsinnige Leidenschaft. Seien Sie etwas nachsichtig gegen die Liebe, dulden Sie sie. Sie ist von allen Leidenschaften die Heitersie, geselligste und die einzige beglückende. Gestatten Sie, daß man dies Glück unter Ihrer Regierung genießt. Es ist das größte, das die Natur uns zum Trost für all die Leiden gab, deren das Menschenleben voll ist.

Setzen Sie mich durch diese Toleranz in die Lage, Ihnen meine Huldigungen ohne Furcht und Schrecken darzubringen, damit ich mich ungestraft der Glut meines Gefühls und der ganzen Bewunderung hingeben kann, die Ihre großen, seltenen Tugenden mir einflößen. Das ist der einzige Zug, der Ihnen noch zur Vollkommenheit fehtt. Lassen Ew. Majestät die Herzen aus dem Kerker frei; brechen Sie ihre Ketten, geben Sie der verstohlenen Liebe, die in Sklaverei schmachtet, die Freiheit. Üben Sie Ihre Strenge gegen die unbarmherzigen Kerkermeister und gegen die Büttel der Keuschheit, die die Kinder der Liebe und Freude nur zu lange geknechtet haben. Möge die holdeste, reizendste und menschlichste Leidenschaft eine Beschützerin in der erlauchtesten Fürstin, in der ersten Frau des Jahrhunderts, in Königin Maria Theresia finden, die einer der größten Monarchen Europas ist. Ich wäre überglücklich, holde Königin, könnte ich Sie mit Venus, meiner Göttin, ebenso leicht aussöhnen, wie mit meiner Nation! Das geschah zur Ruhe und im Interesse der Welt; was ich hier unternehme, wird für das Vergnügen der Welt sein. Das Interesse aber war dem Glück nie zu vergleichen! So mächtig Ew. Majestät auch sind, das Reich der Venus wird stets mächtiger sein als das Ihre; es wird trotz Ihnen bestehen. Die heidnischen Götter konnten sich seinen Gesetzen nicht entziehen; sollten wir irgend einem<206> Gott widerstehen? Es gewährt Freude, sich unterjochen zu lassen; Sie werden Ihren Untertanen diese Freude nicht nehmen.

Ich wage zu hoffen, daß Ew. Majestät meinen inständigen Bitten nachgeben, daß die Verfolgungen aufhören werden, und daß man zu Wien nicht mehr das Martyrium zu befürchten haben wird, weil man im Glauben an die Liebe verharrt, den man von seinen Eltern empfangen hat. Ich bin der festen Überzeugung, daß Sie meine demütige Bitte in Gnaden erfüllen werden. Aufs neue vermehren werden Sie durch diesen Akt der Milde die tiefe Verehrung, die respektvolle Anhänglichkeit und den Eifer, womit ich verharre usw.


203-1 Die obige Satire bildet die fingierte Antwort auf ein Schreiben, das Maria Theresia angeblich an die Marquise gerichtet hatte. Doch hat sich bisher keinerlei Spur von Briefen der Kaiserin-Königin an die Pompadour nachweisen lassen.