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Schreiben eines Sekretärs des Grafen Kaunitz an einen Sekretär des Grafen Cobenzl199-1
(September 1758)

Lieber Freund! Sehr verdrießt mich Ihre falsche Meinung über das Verhalten des Grafen Kaunitz in den jetzigen Wirren. Ich schreibe sie Ihrem Fernsein von Wien zu, den falschen Begriffen Ihrer Umgebung und alten Vorurteilen, die Sie irreführen. Sie meinen also, der Reichstag zu Regensburg handle zu vorschnell gegen den König von Preußen. Sie möchten, wie Sie sagen, daß seine Citationen199-2 und Advocatorien199-3 nicht veröffentlicht werden.

Ferner glauben Sie, unser Bündnis mit Frankreich sei kein festes Band, sondern etwas Erkünsteltes, den gegenseitigen Interessen Zuwiderlaufendes, und wir hätten besonders seit der Einnahme von Kap Breton199-4 samt und sonders zu fürchten, daß das Versailler Ministerium Vergeltung an uns üben werde? Wer dies alles muß ich Ihnen die Augen öffnen und Sie überzeugen, daß das Benehmen des Grafen Kaunitz nicht nur keinen Tadel, sondern höchstes Lob verdient.

Viele Gründe haben uns davon abgebracht, den König von Preußen zu schonen. Einer der hauptsächlichsten ist zweifellos der, daß es der Kaiserwürde entspricht, Proben ihrer Übermacht zu geben. Wenn wir den mächtigsten Reichsfürsten hart anfassen, schlagen wir alle anderen durch die Furcht nieder, die dies Verfahren ihnen einflößt. Der König von Preußen ist für das Haus Österreich nicht nur ein gefährlicher Feind, sondern auch ein zu fürchtender Nebenbuhler im Reiche. Mithin müssen alle treuen Untertanen unserer unvergleichlichen Kaiserin auch den letzten Blutstropfen verspritzen, um so viel, wie an ihnen ist, zur Vernichtung seiner Macht beizutragen. Seit dem letzten Frieden hatten all unsere Bemühungen und Maßregeln, kurz unser<200> ganzes System, nur den Zweck, Schlesien zurückzuerobern. Schlesien rundete unser Gebiet ab, lieferte uns Truppen, Geld und Versorgungen für viele vornehme Herren, die die Kaiserin jetzt nicht zufriedenstellen kann. Unser Plan beschränke sich nie auf die Eroberung Schlesiens, sondern ging stets auf die völlige Zerschmetterung des Königs von Preußen aus, damit keine Macht in Deutschland dem Kaiserhofe mehr Einhalt gebieten und er seine Herrschaft fest begründen kann. Alle geistlichen Fürsten sind unsere Kreaturen; auch die weltlichen müßte man dahin bringen, und zur Ausführung der kaiserlichen Befehle müßte die Absendung eines Kommissars genügen, sodaß wir auf Rosen gebettet waren.

Die Sache der Augsburger Konfession verlöre dadurch um so mehr, als der König von Preußen ihre einzige Stütze ist; da aber diese Sekte ihrem Verfall entgegengeht, verdient sie keine besondere Aufmerksamkeit von unserer Seite. Immerhin muß ich Ihnen gestehen, daß der Protestantismus uns bessere Dienste geleistet hat als der Katholizismus. Wir haben in Rom davon gesprochen, die Ketzerei zu unterdrücken, und diese Perspektive allen Geistlichen eröffnet; schon allein dies Vorhaben hat uns soviel eingebracht wie ein Peru. Wie Sie wissen, fehlt es uns manchmal an Geld. Aber der Protestantismus ward für uns eine reichere Einnahmequelle als die Wiener Bank für Kaiser Karl VI.

Fünfzig Jahre lang hat unser Hof an der Erniedrigung des Hauses Bayern gearbeitet. Wie Sie sehen, ist es uns schließlich geglückt. Sollte es uns auch mehr Mühe und Zeit kosten, die Macht Preußens zu brechen, so müßten wir das doch mit Geduld ertragen. Einer der größten Vorteile, den wir vor den anderen Mächten Europas HOen, ist der, daß die Weisheit unseres Ministeriums stets das gleiche System verfolgt. Was uns im ersten Anlauf nicht gelingt, das bringt die Zeit zur Reife. Deswegen, lieber Freund, verzweifle ich an nichts. Wie? Zu einer Zeit, da alle unsere Verbündeten sich in Bewegung setzen, da unsere Heere im Begriff sind, den schönsten Feldzugsplan auszuführen, der je ersonnen ward, da unsere Übermacht und das große Geschick unserer Heerführer uns die größten Erfolge versprechen, wie? zu einer Zeit, da sich alles zu unserem Ruhme verbindet, finden Sie es seltsam, daß der Reichstag sich mit Würde ausspricht, und wollen nicht, daß er seinen Blitz gegen die Rebellen schleudert? Es ist aufs höchste zu beklagen, daß die Ereignisse unsere Hoffnung betrogen haben, sonst wären die Dekrete veröffentlicht worden, kraft deren zwei Könige samt ihren Anhängern in die Reichsacht erklärt werden sollten200-1. Welch schöner Tag wäre das für Wien gewesen! Und was konnte danach die Größe, den Ruhm und die Macht unserer unvergleichlichen Gebieterin noch erhöhen!

So viel zur Rechtfertigung unseres Verhaltens gegenüber demKönig vonPreußen! Noch leichter hoffe ich die Bedenken zu zerstreuen, die Sie hinsichtlich unseres Bündnisses mit Frankreich hegen.

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Es verwundert Sie, daß Frankreich, das in seinem Kriege gegen England beschlossen hatte, alle Kräfte zur See einzusetzen, plötzlich anders verfährt und sich gegen sein eigenes Interesse in einen Kontinentalkrieg verstrickt, der eigentlich nur das KaiserHaus etwas angeht. Daraus können Sie schließen, daß die Leute weder ein System haben noch konsequent handeln, und daß man allem, was sie tun, diese Inkonsequenz anmerkt. Schließen Sie ferner daraus, daß die Geschicklichkeit und das Benehmen des Grafen Kaunitz nicht genug bewundert werden kann. Der Graf hat jederzeit die Ansicht vertreten, wenn man die Franzosen bei ihrer Eitelkeit fasse, könne man sie leiten, wie man wolle. Und so hat er denn zu Beginn des Krieges den Bittsieller gespielt. Aus eigener Kraft vermöchte sich die Königin von Ungarn nicht gegen den König von Preußen zu behaupten; sie setzte all ihr Vertrauen auf den Beistand und die redliche Gesinnung des Allerchristlichsten Königs und gestände, ihm allein würde sie ihre Erhaltung danken. Diese Sprache führten wir in Versailles. Graf Kaunitz hat den Franzosen alle erdenklichen Gefälligkeiten erwiesen; er hat in Kleinigkeiten nachgegeben und sie in den wichtigen Fragen dahin geführt, wohin er wollte. Wir haben es dahin gebracht, daß die Sachsen zeterten und weinten. Wir haben Paris und Vesailles mit Nachrichten überschwemmt, die den Zeitläuften angepaßt waren. Kurz, die Eigenliebe der Franzosen, ihre Lust, sich in alles einzumischen, der beliebte Vorwand des Westfälischen Friedens, den wir unter den gegenwärtigen Umständen vortrefflich fanden, ihre Eitelkeit, als Schirmherren des Kaiserhauses und des Hauses Sachsen aufzutreten, besonders aber die Aussicht, die Schiedsrichterrolle in Deutschland zu spielen, schließlich auch die Briefe der Kaiserin an — 201-1 Sie verstehen mich schon — das alles zusammen hat die Franzosen auf den Leim gelockt, und nachdem der erste Schritt einmal getan war, fiel es uns nicht mehr schwer, sie zu weiteren Schritten zu bringen. Sie sehen, wie Graf Kaunitz sie am Bändchen hat. Was für Ausgaben an Geld, an Subsidien! Und welche Truppenmassen nötigt man sie, in den Dienst unserer erlauchten Kaiserin zu stellen!

Sie sagen, die Franzosen seien unsere Erbfeinde. Nun, um so besser für Graf Kaunitz! Konnte er einen größeren Coup machen, einen feineren politischen Streich führen, als die Feinde des Hauses Österreich an dessen Vergrößerung arbeiten zu lassen? Konnte er etwas Besseres tun, als Frankreich an Geld und Soldaten arm zu machen und es in einen Zustand der Erschöpfung zu versetzen, der es für die Zukunft unschädlich macht? Sie rügen es, daß man den Franzosen einige Gebiete in Flandern abgetreten hat201-2. Darauf wage ich nichts zu erwidern; aber angenommen, es träfe zu—sehen Sie nicht, welche Kunst darin liegt, sich von langer Hand neue Verbündete zu schaffen? Sobald wir gegen Frankreich Krieg führen wollen, wird allein der Name der zurückzuerobernden Städte genügen, daß man in Holland und England Sturm läutet. Das allein wird die Seemächte in Aufruhr bringen und sie zwingen, ihre Schätze und Truppen unseren Interessen zu opfern.

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Urteilen Sie also nicht mehr vorschnell und vernehmen Sie, daß das Verfahren des Herrn Grasen genau berechnet ist, daß alle seine Schritte abgemessen, alle seine Pläne reiflich bedacht und erwogen sind. Fürchten Sie sich also nicht mehr vor den Franzosen, die ihre Eigenliebe verblendet und die sich in dem Wahn, das feinere Spiel zu spielen, von den anderen zum besten haben lassen. Wir kennen ihre starken und schwachen Seiten, und sobald die Konjunktur wechselt, werden Sie sehen, wie wenig furchtgebietend sie uns erscheinen.

Leben Sie wohl, lieber Freund, leben Sie glücklich in Brüssel! Sobald wir eine gute Nachricht von unseren Armeen haben, können Sie sicher sein, daß ich sie Ihnen zukommen lassen werde. Was die Persönlichkeit betrifft, die Sie mir empfehlen, so wird es schwer hallen, ihr jetzt eine Stellung zu verschaffen. Erobern wir aber Schlesien zurück, so gibt es Stellen genug für sie wie für jeden Bewerber.


199-1 Graf Karl Cobenzl residierte als österreichischer Minister der österreichischen Niederlande in Brüssel.

199-2 Es handelt sich um die Achtserklärung des Kaisers und des Reiches gegen König Friedrich wegen der Besetzung Sachsens. Die Nation, d. h. Vorladung dazu war vom Kaiser am 22. August 1757 unterzeichnet worden, doch hatte Friedrichs Vertreter am Regensburger Reichstag, Freiherr von Piotho, ben Notar Aprill, der sie am 14. Oktober 1757 im Auftrag des Reichsfiskals überbrachte, kurzerhand hinauswerfen lassen.

199-3 Dekrete, die alle nlchtpreußischen Untertanen aus preußischen Diensten zurückberiefen.

199-4 Am 26. Juni 1758 hatten die Engländer die Festung Louisburg auf der Insel Kap Breton am Eingang des St. Lorenz-Golfes erobert.

200-1 Vgl. Bd. IV, S. 59 f.

201-1 Die Marquise von Pompadour. Vgl. dafür S. 203.

201-2 Vgl. Bd. III, S. 207.