1. Kabinettserlaß an den Minister Graf Finckenstein
(21. Februar 1784)

Das Beste, was wir in der gegenwärtigen Lage tun können, ist, uns nicht zu rühren und ruhig abzuwarten, bis sich in Europa dies oder jenes ereignet, woraus wir sofort Nutzen ziehen müssen.

Auf Rußland, das gestehe ich, rechne ich für die nächsten Zeiten nicht; denn die Zarin, ihr Bakunin, ihr Besborodko156-2 und ihr Moronzow156-3 sind österreichisch bis in die. Fingerspitzen. Wollen wir uns also nicht in eitler Selbstgefälligkeit wiegen und uns selbst etwas vormachen, so dürfen wir nicht darauf rechnen, bie russische Macht wiederzugewinnen, falls nicht der Großfürst den Thron besteigt.

Aus dem Briefe des Grafen Hofenfels156-4 ersehen Sie, wie sklavisch Frankreich der Königin folgt156-5 und wie sehr es sich folglich von Österreich beherrschen läßt. Also selbst wenn die Franzosen Vereinbarungen mit uns treffen wollten, wäre man seiner<157> Sache nie sicher; denn die Königin könnte bei ihrem Einfluß stets alle Maßregeln durchkreuzen.

Bliebe also England. Nun hat die englische Regierung unter den jetzigen VerHältnissen erstens noch gar keine feste Gestalt gewonnen, und zweitens, wüßte man auch, wer ans Ruder kommt und daß die Staatsmaschine wieder funktioniert, so kennt man doch auch ihre gegenwärtige Erschöpfung und Schwäche157-1: England wird sich also, wenigstens fürs erste, nicht auf große Dinge einlassen.

Von Schweden und Dänemark will ich erst garnicht reden; denn beide sind kraftlos.

Bleiben also lediglich die Reichsfürsten. Unter ihnen kämen für ein Bündnis in Betracht: Hannover, Hessen, Braunschweig, vielleicht auch Bamberg, Würzburg, Fulda, Paderborn, Hildesheim und ganz Norddeutschland. Vielleicht könnte man auch den Kurfürsten von der Pfalz hinzunehmen, vorausgesetzt, daß der jetzige157-2 stirbt und der Herzog von Zweibrücken Kurfürst wird. Man müßte einen Bund aller dieser Fürsten zusiande bringen, lediglich zum Zweck der Aufrechterhaltung des Reichssystems, wie es jetzt besieht. Käme es zum Kriege, so müßte man nach meiner Meinung darangehen, sie sämtlich ins Spiel zu ziehen und ihnen Subsidien bezahlen, was nicht unmöglich wäre.

Das ist alles, was sich bisher ausdenken läßt. Auch müßte man dem Ganzen einen Anstrich geben. Soweit sich die Zukunft beurteilen läßt, wird auch Rußland sich einmischen, wenn der Kaiser uns zu Leibe will. Frankreich wird nicht mitmachen wollen. Wir können uns also mit Hilfe all dieser Reichsfürsten noch aus der Klemme ziehen und den Völkermassen die Stirn bieten, die die beiden Kaiserhöfe gegen uns ins Feld zu stellen vermöchten; aber ein anderes Mittel will mir nicht einfallen...


156-2 Peter Wassiljewitsch Bakunin und Graf Alexander Andrejewitsch Besborodko leiteten unter dem Grafen Ostermann, Panins Nachfolger, die Geschäfte des Ministeriums des Auswärtigen.

156-3 Vgl. S. 153.

156-4 Minister des Herzogs Karl von Zweibrücken.

156-5 Vgl. S. 155.

157-1 Infolge des Krieges mit den amerikanischen Kolonien, mit Frankreich, Holland und Spanien.

157-2 Karl Theodor, seit 1778 auch Kurfürst von Bayern (vgl. S. 99ff.).