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6. Militärische Betrachtungen195-1
(Februar 1760)

Soweit ich den nächsten Feldzugsplan unserer Feinde erraten kann, wird er etwa auf folgendes herauslaufen.

Daun wird mit seinen Hauptkräften an der Elbe bleiben und anfangs nur zwei Korps in Tätigkeit treten lassen: Das Laudonsche, etwa 20 000 Mann stark, wird sich mit den Reichstruppen vereinigen und zum Vordringen durch Thüringen gegen Leipzig und Halberstadt bestimmt werden. Das andere, wahrscheinlich das Becksche Korps, wird den Auftrag erhalten, sich mit einem Detachement von 20 000 Russen zu vereinigen, das gegen Glogau vorgehen soll. Tritt das ganze Fouquésche Korps den Barbaren entgegen, so wird Beck ihm folgen und den Preußen in den Rücken fallen. Geht aber nicht das ganze preußische Korps gegen die Russen, so findet es an der Lausitzer Grenze keine andere Stellung als bei Löwenberg oder Hohlstein.

Diese Operationen werden vermutlich Ende März beginnen, aber darauf beschränken sich die Pläne unserer Feinde nicht. Sobald die Jahreszeit es gestattet, d. h. im Juni, wird Ssaltykow mit seiner Hauptarmee an der pommerschen Küste entlang marschieren, um Kolberg zu belagern, und sobald Daun sehen wird, daß die ganze preußische Armee überall beschäftigt ist, wird er, besonders wenn sie irgendwo Niederlagen erleidet, Marschall mit 15 000 Mann von Olmütz zur Belagerung von Neiße schicken.

Das sind sicher die Pläne, die unsere Feinde auszuführen gedenken. Man darf sie nicht aus den Augen verlieren, damit es nicht an Mitteln fehlt, ihnen entgegenzutreten. Was können wir all dem entgegenstellen?

Wir haben ein Heer in Sachsen und eins in Schlesien. Die schlesische Armee muß anfangs Glogau oder Breslau decken, die geringsten Fehler der Russen benutzen und ihnen womöglich eine Niederlage beibringen, bevor die russische Hauptarmee ihre Operationen beginnen kann. Sie muß sich an die schwer zugänglichen Gegenden halten und die Ebenen verlassen; denn die Russen greifen grundsätzlich nicht an und marschieren stets durch die Wälder, nie durch die Ebene. Wenn sie aber einmal durch<196> die Ebene zögen, so böte sich vielleicht die Gelegenheit, sie zu schlagen. Vor allem ist bei ihnen darauf zu sehen, daß sie nirgends festen Fuß fassen und keine Festungen erobern. In dieser Hinsicht sind Kolberg und Glogau die wichtigsten Punkte. Die Magazine der gegen die Russen fechtenden Truppen können nur in Stettin (für Kolberg), in Küstrin und Glogau angelegt werden. Von dem bei Landeshut verbleibenden Korps können mehr oder minder starke Detachements für Neiße abgegeben werden, in dem Maße, wie es notwendig wird.

Ich gehe zu Sachsen über. Schließen die Franzosen Frieden, wie es den Anschein hat196-1, so kann Prinz Ferdinand uns mit 50 000 Mann zu Hilfe kommen. Dadurch wird es dem König möglich, Verstärkungen aus Sachsen an Prinz Heinrich196-2 zu schicken. Wird der Friede nicht geschlossen, so kommt es gewiß zu einer für das Schicksal der preußischen Staaten bedeutungsvollen Schlacht.

Soviel kann man ungefähr von den künftigen Ereignissen im allgemeinen vorhersagen. Sie können eine sehr üble Wendung nehmen, aber auch günstiger ausfallen, als man gegenwärtig zu hoffen wagt.


195-1 Vgl. dazu S. 37 f.

196-1 Vgl. S. 31 f. und 193 f.

196-2 Prinz Heinrich sollte den Russen entgegen treten.