<55>gehabt hatten, und wußte nicht, welchen Entschluß er fassen sollte. Eine Meile davon irrte Lacy umher und suchte vergeblich nach einer Furt über das Schwarzwasser. Zweifellos mußte man den Augenblick benutzen und den Feind nicht zur Besinnung kommen lassen. So marschierte der König denn mit dem linken Flügel, der die Schlacht gewonnen hatte, stracks auf Parchwitz. Nauendorf, der das jenseitige Katzbachufer besetzt hielt, war zum Widerstand gegen die Preußen zu schwach und überließ ihnen den so lange und so hartnäckig umstrittenen Übergang. Jenseits Parchwitz steckten die Preußen ihr Lager ab. Zieten, der gleichfalls dorthin rücken sollte, blieb nur so lange auf dem Schlachtfelde, um die preußischen Verwundeten, 1 100 an der Zahl, aufzulesen.

In Parchwitz erfuhr der König, daß Tschernyschew seit einigen Tagen bei Lissa lagerte. Das war ein neuer Grund zur Besorgnis. Die Russen konnten sich mit den Österreichern vereinigen, konnten auch eine Stellung bei Neumarkt einnehmen. Kurz, es wäre sehr ärgerlich gewesen, das eben Entschiedene wieder in Frage gestellt zu sehen. Man mußte also alles aufbieten, um sich einen Feind vom Halse zu schaffen, mit dem man sich durchaus nicht schlagen wollte. So griff der König denn zur List. Er schrieb an seinen Bruder, Prinz Heinrich, einen prahlerischen Brief, er habe soeben die Österreicher in die Pfanne gehauen und ließe jetzt eine Brücke über die Oder schlagen, um den Fluß zu überschreiten und die Russen in ähnlicher Welse abzufertigen. Er sei willens, Ssaltykow anzugreifen, und bitte den Prinzen, seinerseits die verabredeten Bewegungen zu machen1. Dieser Brief wurde einem Bauern übergeben und ihm reichliche Belohnung versprochen, wenn er sich sofort auf den Weg machte und sich von den Vorposten Tschernyschews gefangen nehmen ließe. Dann sollte er ihm, gleichsam aus Furcht vor Strafe, den Brief einhändigen.

Man konnte nicht wissen, wie der Bauer seine Rolle spielen, noch welchen Eindruck der Brief auf Tschernyschew machen würde. Dennoch brach die Armee des Königs am folgenden Tage (16. August) auf. Sie marschierte in drei Kolonnen, mehr in der Ordnung einer Transportbedeckung als eines gewöhnlichen Marsches. Der König führte die rechte Kolonne und deckte den Marsch nach der Seite der Österreicher hin. Vor der zweiten Kolonne führte Krockow eine starke Avantgarde. Ihm folgten die Kriegsgefangenen, die erbeuteten Kanonen und die preußischen Verwundeten. Der Prinz von Holstein führte die dritte Kolonne, die aus leichter Kavallerie bestand und durch einige Bataillone verstärkt war, um den Zug gegen etwaige Angriffe der


1 Das aus Parchwitz vom 15. August datierte eigenhändige Schreiben des Königs an Prinz Heinrich lautet: „Lieber Bruder! Soeben haben meine Truppen einen großen Sieg über die Österreicher erfochten. Diese haben 15 000 Mann verloren. Wir haben 6 000 Gefangene, 3 Generale, 102 Kanonen, 30 Fahnen usw. Laudon ist tödlich verwundet. Ich werde diesen Vorteil ausnutzen, um die Oder zu überschreiten und über die Russen herzufallen, die wir, so es dem Himmel gefällt, vernichten werden. Ich habe keine Zeit, Dir mehr zu sagen. Ich wünsche allein, daß dieser Brief geschwind in Deine Hände gelangt. Dein treuer Bruder Friderich.“ Nachschrift: „Daun und seine ganze Armee flüchten auf Jauer zu.“