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11. Feldzugsplan für die Armee der Alliierten203-1
(November 1756)

Nach den letzten Nachrichten aus Paris203-2 wollen die Franzosen den Feldzug schon im März eröffnen und ihre Operationen mit der Belagerung von Wesel beginnen, dann nach Westfalen vordringen und ins Kurfürstentum Hannover einfallen. Wie man weiß, rühmen sie sich, daß der König von Preußen von ihrem Vorhaben gegen Wesel nichts ahne und keinerlei Maßregeln treffe, um die Festung davor zu schützen.

Auf diese Nachrichten kann man wohl den Feldzugsplan für das nächste Jahr aufbauen. Alles wird der höheren Einsicht des Königs von England unterworfen, der bei seiner langen Erfahrung und genauen Ortskenntnis besser als irgend jemand imstande ist, den beifolgenden Feldzugsplan nach seinem Ermessen festzusetzen.

Nach allen bisher eingelaufenen Nachrichten über die Absichten des Feindes scheint Frankreich 50 000 Mann zur Eroberung von Kleve und Hannover bestimmt zu haben. Es ist also zunächst zu berechnen, welche Kräfte man diesem Heere entgegenstellen kann. Läßt der König von England die Hannoveraner und Hessen wieder nach dem Festland übersetzen203-3, so könnte er aus beiden Kontingenten ein Heer von 35 000 Mann aufstellen. Der Herzog von Braunschweig kann 5 000 Mann liefern, der Herzog von Gotha 4 000. Wird die Sache gleich angefaßt und der Handel mit ihnen unverzüglich geschlossen, so hätten wir mit diesen Truppen insgesamt 44 000 Mann. Marschieren die Franzosen nicht nach Böhmen und mischen sich vor allem die Russen nicht ein, so kann der König von Preußen noch 8 000 bis 10 000 Mann dazugeben. Das macht zusammen 54 000 Mann, eine genügende Zahl, um den Franzosen entgegenzutreten.

Soviel von der Aufstellung der Armee. Ehe ich auf ihre Operationen eingehe, seien noch einige Einzelheiten vorausgeschickt.

Zunächst ist zu prüfen, wie die Franzosen ihr Unternehmen ins Werk setzen können. Allem Anschein nach wird ihre Armee sich in den drei Bistümern oder bei<204> Visé204-1 versammeln. Zieht sie sich bei Metz zusammen, so hat sie von da bis Wesel einen Marsch von 40 deutschen Meilen, zu dem sie 17 Tage braucht. Versammelt sie sich bei Visé, so sind es nur 30 deutsche Meilen, d.h. ein Marsch von 13 bis 14 Tagen.

Sobald dieser Zug beschlossen ist, bieten sich nur drei Städte zur Anlage ihrer Magazine: Roermond, Kaiserswerth oder Neuß. Wahrscheinlich werden sie sich für die beiden ersteren entscheiden, sowohl der Lage wegen, als auch weil diese Orte mit einigen Befestigungen versehen sind und weil sie dann ihre Munition auf der Maas und dem Rhein bis Wesel befördern können.

Wesel ist gut befestigt, aber die Festungswerke sind im Verhältnis zur Stadt wie ein zu weiter Mantel auf dem Leibe eines schmächtigen, hageren Mannes. Die Stadt ist klein. Sie kann nicht mehr als die 6 Bataillone aufnehmen, die ihre Besatzung bilden. Also nur 4 200 Mann. Minenanlagen sind nicht vorhanden. Obwohl die Festung mit Geschütz und Kriegsvorrat versehen ist, könnte sie eine Belagerung von der Art, wie sie heute Brauch sind, nicht lange aushalten, insbesondere seit nicht mehr die Befestigungsanlagen, sondern die Minen die Stärke einer Festung ausmachen. Kämen die Franzosen also gegen den 15. oder 20. März vor Wesel an, so wäre der Fall der Festung schon gegen Ende des Monats zu gewärtigen. Die Eroberung Wesels wäre für die Franzosen höchst vorteilhaft; denn dadurch wären sie im Rücken gesichert, hätten einen Übergang über den Rhein, ein Magazin für ihre Armee und einen sicheren Stützpunkt für alle ihre Unternehmungen gegen Westfalen und Hannover.

Prüfen wir nunmehr, was sich zur Vereitlung der französischen Pläne empfiehlt.

Da die Franzosen glauben, daß wir von ihren Absichten auf Wesel nichts wissen, so müßten die Alliierten nach meiner Meinung so tun, als hätten sie von dem geplanten Zug keine Ahnung. Alle Maßnahmen, um ihn zu vereiteln, müßten daher mit allerhand glaubhaften Vorwänden bemäntelt werden, damit sie sich einbilden, daß man ihre Pläne nicht durchschaut.

Als geeignetster Ort zur Versammlung der Armee der Alliierten erscheint mir Hameln. Man könnte leicht aussprengen, das geschähe, um die Weser zu decken und die Armee diesseits kantonnieren zu lassen. Von Hameln hätte sie einen Marsch von etwa 24 deutschen Meilen bis zum Rheine. Bevor sie aber aufbricht, müßten erst Mehl- und Fouragemagazine an ihren Rastorten angelegt werden. Am geeignetsten erscheinen dazu Wesel für Mehl und Fourage, Dortmund und Hameln für bloße Mehldepots. Diese Maßregeln müssen sofort ausgeführt werden, oder es wird zu spät. Selbst wenn man später das Doppelte bar bezahlte, brächte man doch schwerlich so viel Lebensmittel auf, als erforderlich sind. Man muß also frühzeitig beginnen.

Nun zu den eigentlichen Operationen der Armee. Da meine ich: sobald man den Ort weiß, den die Franzosen zur Versammlung ihres Heeres bestimmt haben, und<205> den Tag, an dem es aufbrechen soll, kann der Höchstkommandierende mit der Armee der Alliierten abmarschieren, um ein paar Tage vor den Franzosen den Rhein zu erreichen. Bis Lippstadt kann er seine Truppen kantonnieren lassen; dann aber empfiehlt es sich, ein regelrechtes Lager zu beziehen. Von da muß er auf die Franzosen losmarschieren. Kommen sie von Metz, dann muß er über Angerort ins Kölnische rücken, wo sich die Wahl einer starken Stellung für das Lager empfiehlt. Kommen sie dagegen von Bisé, so lagert die Armee der Alliierten besser zwischen Rheinberg und Dinslaken am diesseitigen Rheinufer.

Die Lebensmittel für beide Lager können gleich bequem aus Wesel auf dem Rheine herangeschafft werden. Über den Rhein zu gehen rate ich nicht. Das wäre zu gewagt, wofern die Holländer nicht auf unsere Seite treten. Dann freilich wären die Pläne zu ändern. Solange aber auf ihre Hilfe nicht zu rechnen ist, scheint es mir zu gefährlich, über den Rhein zu gehen, zumal die französische Grenze noch sehr weit entfernt ist.

Die beiden für die Armee vorgeschlagenen Stellungen decken unzweifelhaft Wesel. Angenommen, die Franzosen gingen bei Düsseldorf oder sonstwo über den Rhein, so ist es nicht wahrscheinlich, daß sie ihre Flanke der Armee der Alliierten darbieten, indem sie in Westfalen eindringen. In dem Falle müßten die Alliierten ein Lager hinter der Lippe beziehen, mit der rechten Flanke nach Wesel. Wären die Franzosen dann töricht genug, in Westfalen einzudringen, so könnte man ihnen in den Rücken fallen, und dann käme gewiß keiner davon.

Die Alliierten müssen sich in diesem Kriege auf die Defensive beschränken. Eine Schlacht wagen, hieße zuviel aufs Spiel setzen. Ginge sie verloren, so wären die Besitzungen der Könige von England und Preußen allzusehr gefährdet. Durch die vorgeschlagene Defensive dagegen werden die Pläne der Feinde zunichte gemacht, ihr Feldzug wird vergeblich, und wir gewinnen Zeit. Damit ist alles gesagt. Schließen wir den Feldzug mit Erfolg ab, so ist sehr zu hoffen, daß Holland sich für uns erklärt, und dann bekommt die Frage ein ganz anderes Aussehen. Solange aber die Alliierten des holländischen Beistandes nicht sicher sind, läßt sich anscheinend nichts Besseres tun, als den obigen Vorschlag zu befolgen.


203-1 Vgl. S. 61 und S. 199 Anm. 1.

203-2 Bericht des preußischen Gesandten Baron Knyphausen, Paris, 1. November 1756.

203-3 Vgl. S. 35.

204-1 An der Maas zwischen Lüttich und Maastricht.