<V>

Einleitung des Herausgebers

Die Geschichte der beiden ersten Schlesischen Kriege hat König Friedrich dreimal verfaßt. Im Juni 1742 hatte er den Breslauer Frieden geschlossen, der dem ersten Kriege ein Ende setzte, und Mitte November desselben Jahres war er, durch Voltaires Schriften angeregt, bereits damit beschäftigt, die Geschichte dieses Krieges niederzuschreiben. Die ersten Zeugnisse finden sich in zwei Briefen an den Kabinettsminister Graf Podewils und an Voltaire. Dem Minister schreibt Friedrich am 13. November: „Ich arbeite an meinen Memoiren und sitze bis über die Ohren in den Archiven.“ Und dem Dichter am 15.: er habe „sehr interessante“ Denkwürdigkeiten unter der Feder; nur Fragmente daraus werde er ihm mitteilen können, denn das Werk im ganzen sei nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Am 6. April 1743 kündet der König dem Franzosen die baldige Übersendung des Vorworts an, die dann am 21. Mai erfolgt. „Der Rest“, so wiederholt Friedrich, „eignet sich nicht zur Mitteilung.“

Nur das Vorwort und die im folgenden abgedruckten Fragmente sind uns von dieser ersten Niederschrift erhalten, und zwar in dem heut in Petersburg aufbewahrten Nachlaß Voltaires.

Kaum war der Dresdener Friede unterzeichnet, so nahm der König seine historiographische Tätigkeit wieder auf. Am 7. April 1746 berichtet er darüber an den ihm befreundeten Präsidenten der Akademie Maupertuis: „Ich schreibe, ich zerreiße, ich feile und glätte mein Werk, soviel ich kann.“ Bemerkenswert ist, daß Friedrich sich zunächst an die Darstellung des Zweiten Schlesischen Krieges machte und erst nach deren Vollendung unter Zugrundelegung der ersten Redaktion die Geschichte des Ersten Krieges nochmals verfaßte. Im Frühjahr 1747 war das gesamte Werk beendet.

Auch diese Fassung war noch nicht die endgültige. Nachdem der König im Winter 1763/64 die Geschichte des Siebenjährigen Krieges, darauf zu Beginn des Jahres 1775 die der polnischen Teilung und des Russisch-Türkischen Krieges aufgezeichnet hatte, nahm er im Sommer 1775 von neuem die Geschichte der beiden Schlesischen Kriege vor. Mitten aus dieser Arbeit heraus schreibt er am 12. Juli an Voltaire: „Ihr Brief findet mich mit der Feder in der Hand und damit beschäftigt, alte Denkwürdigkeiten durchzukorrigieren, die Sie, wie Sie sich vielleicht erinnern, früher gesehen haben. Sie waren wenig fehlerfrei, schlecht durchgesehen und schlecht gearbeitet.<VI> Wie eine Bärin lecke ich meine Jungen und suche sie zu glätten. Dreißig Jahre liegen dazwischen; da genügt man sich nicht mehr. Und obwohl das Werk dazu bestimmt ist, für immer in irgendeinem staubigen Archiv vergraben zu bleiben, so wünsche ich doch nicht, daß es schlecht gemacht sei.“ Nach seinem eigenhändigen Vermerk auf dem Manuskript war am 1. Juni 1775 die Umarbeitung des Ersten, am 20. Juli die des Zweiten Schlesischen Krieges vollendet.

Die „Geschichte meiner Zeit“ — so nannte Friedrich jetzt das Werk; denn nicht von Anfang an führte es diesen Titel. Bei den beiden ersten Fassungen von 1742 und 1746 gebrauchte der König den Ausdruck „Denkwürdigkeiten“ oder „neue Denkwürdigkeiten“, wenn er von seinen Aufzeichnungen sprach. Aber schon bei der Fassung von 1746 hatte er etwas Größeres im Sinn, als nur seine Memoiren zu schreiben oder Kommentarien zur Zeitgeschichte zu liefern. Jene Niederschrift von 1746 war vielmehr gedacht als Teil eines großen Werkes, das die brandenburgisch-preußische Geschichte von den frühesten Zeiten bis auf die Gegenwart darstellen sollte. Den Anfang dieses Werkes bilden die „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“VI-1, die bis zur Thronbesteigung König Friedrichs führen. Das Manuskript der Niederschrift der beiden Schlesischen Kriege trägt daher den ausdrücklichen eigenhändigen Vermerk: „Zweiter und Dritter Teil der Geschichte Brandenburgs“. Und nur einem allgemeinen Brauche folgen wir, wenn wir diese Fassung von 1746 als erste Redaktion der „Geschichte meiner Zeit“ bezeichnen.

Wenn auch der König bei seinen späteren Umarbeitungen die früheren Niederschriften zugrunde legte, so weisen die einzelnen Fassungen doch bedeutsame Unterschiede untereinander auf. Der Stil der ersten Redaktion von 1742 ist, soweit die Fragmente ein Urteil gestatten, kurz und abgerissen; die Darstellung hat etwas Lapidares; sie gleicht mehr einem Entwurfe, in dem der Gang der Ereignisse mit knappen Stichworten skizziert wird, als einer fertigen Ausarbeitung. Auch die Redaktion von 1746 hat diesen Charakter noch keineswegs verloren; ihr fehlt die Ausgeglichenheit, der leichte Fluß, Mängel, denen der König nach seinem eigenen Geständnis bei der letzten Überarbeitung durch Feilung und Änderung abzuhelfen sucht.

Mit der äußeren Form wandelte sich der innere Gehalt. Die Bedeutung der beiden ersten Niederschriften von 1742 und 1746 liegt darin, daß sie unter dem frischen unmittelbaren Eindruck der Ereignisse entstanden sind. Sie sind, wie schon Leopold von Ranke für die Redaktion von 1746 betonte, für die allgemeinen Verhältnisse von Europa und selbst für die Anschauung einiger Begebenheiten von selbständigem Wert; denn überall finden sich Einzelheiten erzählt, „welche das Bild vervollständigen, die Motive der Entschlüsse, die Ursachen und Erfolge klarer herausstellen“.

Erscheint in diesen früheren Redaktionen der König inmitten des Flusses der Ereignisse, so steht er in der letzten Fassung von 1775 über den Dingen, auf hoher Warte.<VII> Nicht mehr der tatenfrohe junge Friedrich hat das Wort, sondern der abgeklärte, durch schwerste Erfahrung gereifte Herrscher. Schon dadurch tritt das persönliche Moment zurück, daß er von sich nicht mehr in der ersten Person spricht. Wo von ihm die Rede ist, heißt es „der König“, wenn nicht die noch allgemeiner gehaltene Wendung „man“ gebraucht wird. Dem entspricht ferner die schon erwähnte Änderung des Titels des Werkes. Denn wenn auch für den König die preußische Monarchie immer im Mittelpunkt seines Interesses und seiner Darstellung steht, so steht sie doch nicht allein in der Welt. Nicht bloß Einen Staat, sondern Staaten und Staatensysteme zeigt die Wirklichkeit. Schon durch die umfassende Übersicht der europäischen Mächte im ersten Kapitel hatte Friedrich dem universalgeschichtlichen Standpunkt Rechnung getragen. Es charakterisiert daher die erhöhte Weite seines Blickes, wenn er die neue Fassung nicht mehr als Fortsetzung der „Geschichte Brandenburgs“ bezeichnete, sondern ihr den selbständigen Titel gab: „Geschichte meiner Zeit“.

Auch der Inhalt der Darstellung änderte sich. Was Friedrichs Auffassung von 1775 nicht mehr entsprach oder bereits an Interesse für ihn verloren hatte, ist fortgefallen. Dafür finden sich mancherlei Zusätze. Noch rückhaltloser spricht er von sich und den Beweggründen seiner Handlungen; auf der anderen Seite hat er über Personen und Verhältnisse mehrfach sein Urteil gemildertVII-1. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt aber vor allem in der Reflexion: der militärisch-didaktische Zweck steht allenthalben im Vordergrund. Nach dem Worte Rankes ist es der alte Meister des Krieges, welcher spricht.

Endlich bedürfen die Vorreden zu den drei Fassungen des Werkes noch eines erläuternden Hinweises. Zwei große Fragen der allgemeinen Politik beschäftigen darin den König.

Das erste Problem, den Gegensatz zwischen Moral und Politik, hatte Friedrich schon im „Antimachiavell“ zum Gegenstand der Betrachtung gemacht. Der moralphilosophischen Tendenz dieses Jugendwerkes entsprechend hatte er dort den Standpunkt des Florentiners, der in der Politik keine Moral gelten lassen wollte, heftig bekämpft. Es gäbe keinen doppelten Maßstab, so erklärte der Prinz und forderte daher, seine Anschauung an einem Beispiel der praktischen Politik erläuternd, die peinlichste Beobachtung der Staatsverträge durch den Fürsten. Aber auch schon im „Antimachiavell“ hatte Friedrich die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß eine traurige Notlage und das Wohl des Volkes den Fürsten zwingen könnten, Verträge und Bündnisse zu brechenVII-2. Dieser Fall trat für den König im Jahre 1742 ein: er schloß, obwohl mit Frankreich verbündet, einen Sonderfrieden mit dem Wiener Hofe. Damit war das Problem aus der Sphäre rein theoretischer Betrachtung auf den Boden der realen Verhältnisse gerückt.

<VIII>

Wie Friedrichs Anschauungen sich abwandelten, wie er als Staatsmann sich in der Praxis mit diesem Problem auseinandersetzte, das zeigen nun die drei Vorreden. Schon in der von 1742 machte er das weitgehende Zugeständnis, daß die Moral der Fürsten „vielfach als das Gegenteil der Privatmoral erscheine“. Mit Freimut gab er zu, daß er mit dem einseitigen Friedensschluß nichts anderes getan habe, als „den Brauch der Fürsten mitzumachen“. So offen und rückhaltlos ist die Sprache dieser Vorrede, daß nach ihrer Lektüre Voltaire gestand, der Eroberungsgeist, der den König beseele, lasse die Moral zu kurz kommen. In dem Vorwort von 1746 zieht Friedrich dann mit aller Schärfe den Unterschied zwischen der Privatmoral und der Staatsraison, um endlich 1775 das Recht des Fürsten zum Vertragsbruch auf vier bestimmte, genau umschriebene Fälle einzuschränken.

Das zweite Problem betrifft die Frage der Zu- oder Unzulässigkeit der Kriege. Der König eifert gegen alle Unternehmungen, die blinder Ehrgeiz heraufbeschwört. Aber auch ganz allgemein erhebt er das schwerwiegende Bedenken, daß die Erfolge eines Krieges die ungeheuren Anstrengungen und Opfer, die er erfordere, nicht lohnten. Auch hier ist die praktische Erfahrung sein Lehrmeister gewesen; denn es ist deutlich, daß ihm der Ausgang des Zweiten Schlesischen Krieges vorschwebt, der ihm nur den Besitz Schlesiens bestätigte. Daher findet sich diese Betrachtung auch erst in der Vorrede von 1746. Dasselbe gilt für das Vorwort von 1775; denn auch der Siebenjährige Krieg hatte zu keinem neuen Landerwerb geführt.

Man würde aber irren, wollte man dem König die Absicht beimessen, als verzichte er damit auf jeden Gedanken an einen neuen Krieg. Daß dieses für 1746 nicht zutrifft, lehrt das sechs Jahre später verfaßte Politische Testament. Und in dem Vorwort von 1775 erklärt Friedrich als „Gesetz“ für jeden Staatsmann: die günstige Gelegenheit für die Ausführung eines Unternehmens zu ergreifen, sie aber nicht herbeizuzwingen, indem man alles aufs Spiel setze. Daß dieses „Gesetz“ auch für den König galt, wer wollte das bestreiten? Um so mehr, als wiederum die Politischen TestamenteVIII-1 zeigen, wohin seine Blicke schweiften, und die Lande uns bezeichnen, durch deren Erwerbung, wofern die Gelegenheit sich bot, der preußische Staat konsolidiert werden sollte.

Soviel über die drei Vorreden, die im folgenden zum Abdruck gelangen.

Für die „Geschichte meiner Zeit“ ist auf Wunsch des Verlages die letzte Fassung von 1775 gewählt worden. Der französische Text, der der Übertragung zugrunde liegt, ist abgedruckt in den „Œuvres de Frédéric le Grand“, Bd. II und III; die Fassung von 1742 ist veröffentlicht von H. Droysen in dem Programm des Königstädtischen Gymnasiums, Heft 2 (Berlin 1905), die von 1746 von M. Posner in den „Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven“, Bd. IV (Leipzig 1879).


VI-1 Vgl. Bd. I.

VII-1 Vgl. z. B. S. 71 Anm. 1, 108 Anm. 1, 187 Anm. 1.

VII-2 Vgl. Antimachiavell, Kapitel 18 (Bd. VII).

VIII-1 Vgl. das „Politische Testament“ von 1752 und den „Abriß der preußischen Regierung und der Grundsätze, aus denen sie beruht, nebst einigen politischen Betrachtungen“ von 1776 (Bd. VII).