<98>den Zwistigkeiten im Staatsrate und endlose Hofintrigen. Die Kaiserin empfand für keine der beiden Mächte besondere Vorliebe, wohl aber Abneigung gegen den Wiener und Berliner Hof. Anton Ulrich, der Vater des von ihr entthronten Zaren, war Geschwisterkind der Königin von Ungarn, Neffe der Kaiserin-Witwe und Schwager des Königs von Preußen1. Sie fürchtete deshalb, diese beiden Mächte könnten aus verwandtschaftlichen Rücksichten etwas zugunsten der Familie unternehmen, auf deren Sturz sie ihre Größe gegründet hatte. Die Kaiserin zog ihre Freiheit dem Ehestande vor, dessen Gesetze ihr zu tyrannisch erschienen; und um ihren Thron zu befestigen, berief sie ihren Neffen, den jungen Herzog von Holstein, zum Nachfolger und ließ ihn zu Petersburg als Großfürsten von Rußland erziehen2.

Die Welt glaubt recht leichtfertig, daß Ereignisse, die zum Vorteil der Fürsten ausschlagen, die Frucht ihres Scharfsinns und ihrer Geschicklichkeit sind. Dank diesem Vorurteil hatte man den König im Verdacht, an jener russischen Staatsumwälzung beteiligt zu sein. Aber das war nicht der Fall. Der König hatte an diesem Thronwechsel keinerlei Anteil und erfuhr ihn nicht eher als das Publikum. Einige Monate zuvor, als der Marschall Belle-Isle sich im Lager von Mollwitz befand, war das Gespräch auch auf Rußland gekommen. Der Marschall schien sehr unzufrieden mit dem Benehmen des Prinzen Anton Ulrich und seiner Gemahlin, der Regentin, und in einem Augenblick des Ärgers fragte er den König, ob er es ungern sehen würde, wenn in Rußland eine Revolution zugunsten der Prinzessin Elisabeth und zum Nachteil des jungen Zaren Iwan, seines Neffen, erfolgte. Darauf erwiderte der König, er erkenne unter den Herrschern keine andern Verwandten an als die, welche seine Freunde wären. Die Unterhaltung brach ab, und das ist alles, was geschah.

Berlin war während dieses Winters der Mittelpunkt von Unterhandlungen. Frankreich drängte den König, seine Armee in Tätigkeit zu setzen; England ermahnte ihn zum Friedensschluß mit Österreich. Spanien warb um ein Bündnis, Dänemark wünschte seinen Rat, welche Partei es ergreifen sollte. Schweden bat um seinen Beistand, Rußland um seine Vermittlung in Stockholm, und das nach Frieden seufzende Deutsche Reich ersuchte unter den lebhaftesten Vorstellungen um Beendigung der Unruhen.

Nicht lange blieben die Dinge so stehen. Die preußischen Truppen verbrachten kaum zwei Monate in ihren Winterquartieren. Dann führte Preußens Schicksal den König wieder auf jenen Schauplatz, den so viele Schlachten mit Blut tränken und wo beide kriegführende Parteien abwechselnd den Unbestand des Glückes erfahren sollten. Am vorteilhaftesten wurde diese Art Waffenstillstand für den König dadurch, daß er


1 Die Kaiserin-Witwe Elisabeth, die Mutter Maria Theresias, und die Herzogin von Braunschweig, Antoinette Amalie, die Mutter Anton Ulrichs und Elisabeth Christines, der Gemahlin König Friedrichs, waren Schwestern.

2 Am 18. November 1742 zum Thronfolger ernannt, trat er am 5. Januar 1762 nach dem Tode Elisabeths als Peter III. die Regierung an.