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Regierungsantritt

Beim Tode meines Vaters fand ich ganz Europa in Frieden. England und Spanien bekriegten sich freilich, aber dieser Krieg spielte sich in Amerika ab. Kaiser Karl VI. hatte soeben mit den Türken einen Frieden geschlossen1, in dem er Belgrad, Serbien und die Walachei dem osmanischen Reiche abtrat. Die letzten Regierungsjahre dieses Fürsten waren so unglücklich gewesen, daß er das Königreich Neapel, Sizilien und einen Teil der Lombardei verlor2, den die Spanier im Bunde mit den Franzosen und dem König von Sardinien ihm entrissen hatten. Um den Frieden mit Frankreich zu erkaufen, hatte er sich andrerseits gezwungen gesehen, ihm Lothringen abzutreten2 und dieses seinem Schwiegersohne, dem Herzog dieses Landes3, zu nehmen, der das Herzogtum auf Grund uralten Erbrechts besessen hatte. Der Kaiser schloß einen Vertrag mit Frankreich, das ihm, freilich unter allen erdenklichen Einschränkungen, das Hausgesetz garantierte4.

Die Minderjährigkeit des jungen Zaren Iwan5 ließ mich hoffen, daß Rußland sich mehr um seine inneren Angelegenheiten bekümmern würde als um die Garantie der Pragmatischen Sanktion.

Außerdem war ich im Besitz schlagfertiger Truppen, eines gut gefüllten Staatsschatzes und von lebhaftem Temperament: das waren die Gründe, die mich zum Kriege mit Therese von Österreich, Königin von Böhmen und Ungarn, bewogen.

Ihnen entgegen standen die folgenden Schwierigkeiten und Erwägungen: die Hilfsquellen des Hauses Österreich, die stets unerschöpflich waren; Staaten, welche die Pragmatische Sanktion garantiert hatten; ein etwaiges Bündnis des Königs von England mit dem Reiche zur Unterstützung der Königin von Ungarn; der Beistand, den der Herzog von Kurland6, ein Mietling Österreichs, dem Hause von seiten Rußlands verschaffen konnte; der mögliche Entschluß des Wiener Hofes, einige Gebiete an Sachsen zu opfern7, um dieses zu einer Diversion gegen Preußen zu bringen; das wechselnde Kriegsglück; die schlechte Ernte, welche die Ernährung der Heere erschwerte, und schließlich der Unterschied zwischen meinen Truppen, die nichts als


1 1739, Friede von Belgrad.

2 1738 im Wiener Frieden.

3 Herzog Franz Stephan, der Gemahl Maria Theresias, wurde durch Toskana entschädigt.

4 Im Frieden von Wien (1738) garantierte Frankreich die Pragmatische Sanktion vom 12. April 1713, welche die weibliche Erbfolge und die Unteilbarkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie bestimmte.

5 Iwan (VI.), Sohn des Prinzen Anton Ulrich von Braunschweig und seiner Gemahlin Anna, geb. Prinzessin von Mecklenburg, wurde am 23. August 1740 geboren, von seiner Großtante, der Kaiserin Anna Iwanowna († 28. Oktober 1740), zu ihrem Nachfolger ernannt, aber am 6. Dezember 1741 von Elisabeth, der jüngsten Tochter Peters des Großen, entthront. Er starb 1764.

6 Ernst Johann Biron, Herzog von Kurland, führte für den unmündigen Iwan die Regentschaft, wurde aber bereits am 20. November 1740 von der Prinzessin Anna mit Hilfe des Feldmarschalls Grafen Münnich gestürzt.

7 Auch Sachsen machte Erbansprüche geltend.