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44. Brief des Unmuts
(15. Oktober 1757)

„Alles, alles ist eitel hienieden,“ Hat ein alter, ruhmvoller Denker schon, Ein großer König der Juden entschieden, Der weise Salomon.

Und wahr wird's wohl sein, weil er's gesagt, So wenig diese Wahrheit behagt. Und fragt ihr mich — zwar liegt es mir fern, An Weisheit mit jenem großen Herrn Mich kühnlich zu messen — Dahinter gekommen bin ich indessen, Wohl oder übel, auch meinerseits: In der strengen Schule des Leids!


Hab' mir das Leben gar gründlich beguckt,

Süßes und Herbes tapfer geschluckt,

Mußt' mit mir Fangball spielen lassen

Vom Glück wie vom Mißgeschick gleichermaßen,

Ganz niederträchtig!

Nachgerade, dächt' ich,

Hätt' ich genug an Blonden wie Braunen,

Am liebsten möcht' ich

Glücklicheren meinen Platz mal räumen,

Die seinen lockenden Glanz noch bestaunen,

Wunder was sich dahinter träumen.

Ach sie! mit ihren Iugendgelüsten!

Wenn sie von seiner Kehrseite wüßten!


Nun steh' ich auf den Bühnengerüsien Schon viel zu viel,<144> Wo Europas tollste Begebenheiten

Die Bretter beschreiten,

Wo in tragischem Spiel

Herzlose Staatskunst sich gefällt, die Großen

Von der Höhe herunterzustoßen.

Gewiß, ich vernahm wohl ab und an

Auch schüchternen Beifall, und oft von da,

Wo ich mich des am geringsten versah,

Und das hat meinem Herzen gar wohl getan.

Doch heut umgellt mich nur schrilles Gepfeife,

Daß ich entsetzt an den Kopf mir greife.


Fort, fort denn, solang es noch Zeit dazu! Laßt mich mit diesem Theater in Ruh, Das nur der Tor, der Dummkopf preist, Mit den Akteurs und Aktricen ohne Geist — Ein verruchtes Pack zumeist!


Soll ich in meinen alten Tagen

Noch mit Wind und Wellen mich schlagen,

Jeglichem Ungefähr preisgegeben?

Soll ich ewig wieder aufs neue

Fortuna anbetteln, die ungetreue?

Ich danke für solch ein würdelos Leben:

Ständig in qualvollem Warten zu schweben!

Sagt sie wohl diesmal Ja oder Nein?

Und jedem Puffe, jedem Stoß

Liegt die wunde, bangende Seele bloß!

Sollt' ich nicht endlich gewitzigt sein?

Nachdem ich in all den langen Jahren

Ein Übermaß an Unheil erfahren,

Sollt' mich noch immer der Vorwitz plagen,

Es im Reiche des ewigen Wechsels zu wagen,

Glückgeächteter, der ich bin?

Ein Narr wär' ich, gäb' ich immer wieder

Dem Auf und Nieder

Zwischen Fürchten und Hoffen mich hin.


Nein, Zeit ist's, zur Vernunft zu kommen, Beut mir das Glück nur Hohn und Schmach,<145> Frag ich ihm fürder nicht nach. Mag doch, von Lebenslust entglommen, Verzückte Jugend, im Haar den Kranz Von lachenden Blumen, und trunken ganz Von Wonne und Wahn, zum herrlichen Leben Anbetend ihre Hände heben; Sie schöpft noch alle Süßigkeiten Dem Dasein ab! Doch es schwindet beizeiten Der Zauber dahin: Unheil und alle Trübseligkeiten Sind der ganze Gewinn. Dies Hin und Her, dieses Wechselspiel Zwischen Gut und Schlimm, ohne Ende und Ziel, Gemahnt mich an ein verbuhltes Weib, Das nur aus Laune, zum Zeitvertreib Beschließt: Heute beglücke ich den; Zur Abwechslung laß ich den Ersten gehn. Biete sie nur ihre Reize denen, Die noch nach ihrer Minne verlangen! Ich laß mich nicht mehr von der Hexe fangen, Nicht durch Zärtlichkeit, nicht durch Tränen.


Mein Blick durchdringt die Zukunftsferne Ohne Diogeneslaterne. Soll ich mich vom Schicksal foppen lassen, Solang es seiner Frechheit mag passen? Fopp' du nur, wer sich's bieten läßt; Hältst Narren genug ja am Gängelband fest! Fürwahr, der müßte früh aufstehn, Der mich noch einmal dafür finge; Durchs Fenster, auf Nimmerwiedersehn, Entwischt' ich, wenn's durch die Tür nicht ginge! Ein adliger und tapfrer Sinn Nimmt ohne Empörung auch geringe Kränkung von keinem hin!


Mich täuscht kein Selbstbetrug; Ich sehe, ohne zu erbleichen, Entgegen den Härtesten Schicksalsstreichen. Doch ich bin's müde: es ist genug!<146> Mehr denn ein Sokrates hat mich gelehrt, Wie man hinab zur Hölle fährt. In meiner schwarzen Gedankenqual Will ich es halten wie der Admiral: Von feindlichen Schiffen eingeschlossen, Sieht er sein Flaggschiff leck geschossen Und unter die Hände der Piraten Seine tapfre Mannschaft geraten. Da, um dem Entern zu entgehn, Den Tag der Knechtschaft nie zu sehn, Befiehlt der Brave stolz und verwegen, Die Lunte an das Pulver zu legen. Die Soldaten gehorchen, in lodernder Glut Zerbirst das Schiff und versinkt in der Flut.