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18. An Jordan
(März 1740)

Mein guter Jordan, schnell von dannen
In flatterhafter Ungeduld
Steh' ich dich fliehn von deinem Pult,
Chasot,58-1 den pfiffigen Normannen
Zu suchen, ihn, der seine Zeit
Dianen oder Venus weiht,
Und den zurückbehält in Haft,
Von Labetränken ganz erschlafft,
Des heiligen Bacchus Jüngerschaft.

Ich sehe, ihr verlaßt zu zweit
Das Paradies der Seligkeit
Und wollt ins Fegefeuer eilen.
Ach, dürft' ich meinem Wunsche blind
Willfahren, ewig würd' ich weilen
In dem Bezirk, dem ihr entrinnt,
Zu heiß von Blut, zu welterfahren,
Mich um den eitlen Ruhm zu kümmern,
In Klios Buch nach hundert Jahren
Zu siehn auf meiner Ahnen Trümmern.

Ich fürchte jene schalen Ehren,
Die Etikette und den Tand,
Der prunkvoll schmückt den Fürsiensiand;
<59>Ich fliehe die bedrohten Sphären,
Wo Sieg uns lockend reicht die Hand,
Und jener schroffen Klüfte Rand,
Wo Menschen, die nach Ruhm verlangen,
Sich im Erinnrungstempel blähn
Und drin mit dünkelhaftem Prangen
Aufrichten prahlende Trophän.

Ein Herz, erfüllt von echtem Hange
Zu holdem Frieden, milder Rast,
Und glücklich in bescheidnem Range,
Beut nicht in ungestümer Hast
Dem Meere Trotz und seinem Toben,
Damit von Stürmen wild umschnoben
Den Heldentitel es erlange.

Was hilft's, ob für die Welt auch glänze
Ein Ruhm, erkauft mit hundert Mühn?
Ihr Unbestand kennt keine Grenze.
Sie will, daß täglich neu erblühn
Geister und Herzen, stark und kühn,
Und immer reichre Lorbeerkränze.

Man lasse Göttern ihre Rechte,
Hoheit und Weihrauch und Gebet;
Wird man doch um so mehr zum Knechte,
Je höher man im Range sieht.
Freundschaft wiegt mehr als Huldigung
Und Freude mehr als Majestät;
Wer froh ist, lebhaft, herzensjung,
Bei guter Laune früh und spät,
Nur der, wenn er sein Glück erkennt,
Verdient, daß man ihn weise nennt.

Der Lärm, die Sorgen, das Gedränge
Sind für die Freiheit kein Entgelt,
Und der gehäuften Bürden Menge,
Die eitler Ehrsucht sich gesellt,
<60>Kann nicht das stille Glück ersetzen,
Das, in den Schatten gern gestellt,
Der Geist empfangt von seinen Schätzen.
Beglückt, wer ungekannt hienieden
Lebt unabhängig und zufrieden,
Wer mit vernünftigem Entschluß
Dem anspruchsvollen Überfluß
Vorzog das Maß und das Genügen,
Wer Reichtum lernte zu verschmäht,
Und wen Erkenntnis und Vergnügen
Läßt zu dem Gott des Zartsinns flehn,
Dem Gotte des Gefühls, dem Meister
Des Edlen, das wir wachsen sehn,
Dem einz'gen Gott für freie Geister!

Weh mir! Von einer rauhen Hand
Fühl' ich bereits mich fortgetragen;
Zu steigen auf Fortunens Wagen
Zwingt mich des Schicksals eisern Band.
Leb' wohl, du friedvoll schöne Zeit,
Leb' wohl, du einst so hold Behagen,
Leb' wohl, gelehrte Einsamkeit;
Von jetzt an muß ich euch entsagen.

Doch nein, ein Herz voll Stärke beugt
Sich nicht vor blinden Schicksalsmächlen,
Die heimlich Heil und Unheil flechten,
Just wie der Zufall es erzeugt!
Der Grimm Tisiphones, die Fülle
Des Glanzes fürstlicher Gewalt
Gibt mir nicht andere Gestalt.
Der Hoheit angestaunte Hülle,
Sie läßt das Herz mir stoisch kalt.
Doch zärtlicher als Philomele,
Den Freunden treu mit ganzer Seele
Und minder Fürst und Herr im Staat
Als Bürger, Bruder, Kamerad,
Getreu der Philosophen Lehren
Und allem Köstlichen im Leben,
<61>Will ich mich stets als Mensch bewähren,
Mit schlichtem Wort und schlichter Tat
Der Menschenwelt den Frieden geben.

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58-1 Vgl. Bd. IX, S. 160.