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52. Epistel an d'Alembert,1
als in Frankreich die Enzyklopädie verboten und seine Werke verbrannt wurden
(Februar 1760)

Ein Richterkreis in Stola und Soutane
Hat Eure Schriften, hören wir, geächtet,
Die uns ein Schlüssel sind zum Weltenplane.
Mit dieser geistesschwachen Untat knechtet
Er alle Wahrheitsforschung der Vernunft,
Das dichterische Schaffen wird entrechtet.
Hat Irrwahn, Irrtum, Dummheit — diese Zunft
Von Richtern über das gesunde Denken,
Denn in Paris jetzt seine Unterkunft?
Darf sich so schamlos, um es zu beschränken,
Der Haß, die Willkür einer Höllenbrut
Dem Baal ergebner Pfaffen darauf lenken?
So tobte einst der grausen Ahnen Wut:
Bartholomäusnacht sank auf die Zinnen,
Und ganz Paris ertrank in Bürgerblut.2
Barbaren, Ihr! Was wagt Ihr zu beginnen?
Könnt Ihr, die unsrer Tage Schandfleck sind,
Durch Blindheit wild, Euch nie darauf besinnen,
Daß, was Ihr auch für frevle Ränke spinnt,
Vernunft und Wahrheit doch dem Phönix gleichen,
Der aus der Asche neuen Flug beginnt?
Nicht alle Nebel aus den Irrlichtreichen —
Synoden und Konzile auch genannt —
Vermochten Galilei, abzuweichen
Vom Wahrheitsweg; kein Scheiterhaufenbrand,
Den Eure Folterknechte angerichtet,
Kein Lärmen Eurer Lehrer war imstand,


1 Vgl. Bd. VIII, S. 62.

2 Vgl. S. 43.