I
Die Religion des Heidentums

In Brandenburg herrschten nacheinander die Kulte der verschiedenen Völkerschaften, die es bewohnten. Die Teutonen, seine ersten Bewohner, verehrten den Gott Tuisto. Das war, wie Tacitus sagt, der von der Erde erzeugte Himmelsgott, der seinerseits einen Sohn Man hatte.

Die Verehrung, die die Germanen ihren Göttern darbrachten, entsprach ihren einfachen, aber rauhen und wilden Sitten. Sie versammelten sich in heiligen Hainen, sangen Loblieder zu Ehren ihrer Götzen und brachten ihnen sogar Menschenopfer dar.

Es gab keine Gegend, die nicht ihren Lokalgott gehabt hätte. Die Wandalen verehrten einen Gott Triglaw. Einen anderen gab es auf dem Harlunger Berg bei Bradenburg. Er wurde mit drei Köpfen dargestellt, die seine Herrschaft über Himmel, Erde und Unterwelt versinnbildlichten189-1. Das war offenbar die „Dreifaltigkeit“ der Heiden. Tacitus berichtet, daß die Germanen eine Anzahl weißer Pferde besaßen, die sie in den Geheimnissen ihrer Götter unterrichtet glaubten, und ein schwarzes Roß, das der Göttin Trigla geweiht war, deren Willen es nach ihrer Meinung verkündete. Jene Völker verehrten auch Schlangen und bestraften den, der sie tötete, mit dem Tode189-2.

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Im fünften Jahrhundert verließen die Vandalen ihre Heimat und überfluteten Frankreich, Spanien und sogar Afrika190-1.

Die Sachsen, die damals aus England zurückkamen, landeten an der Elbmündung und nahmen das Land zwischen Elbe, Spree und Oder in Besitz, das von seinen ursprünglichen Bewohnern verlassen war. Mit ihnen kamen ihre Götter und ihre Religion nach Brandenburg. Der Hauptgegenstand ihrer Verehrung war die „Irminsäule“. Die gelehrten Etymologen Deutschlands haben nicht verfehlt, den Namen Irmin von Hermes abzuleiten, der gleichbedeutend ist mit dem Merkur der Griechen und Ägypter. Wer die deutsche Literatur kennt, weiß, daß es ein allgemeines Bestreben unserer Gelehrten ist, Beziehungen zwischen den Gottheiten Germaniens und denen der Ägypter, Griechen und Römer zu finden.

Es ist leider nur zu wahr, daß Irrtum und Aberglaube offenbar das Erbteil der Menschheit sind. Allen Völkern ist der gleiche Hang zum Götzendienst eigen. Und da sie alle so ziemlich die gleichen Leidenschaften haben, so ergeben sich auch die gleichen Folgen. Die Furcht erzeugte die Leichtgläubigkeit, und die Eigenliebe zog den Himmel alsbald in das Menschenschicksal hinein. Daraus entstanden all die verschiedenen Kulte, die eigentlich nichts anderes waren als hunderterlei wunderliche Formen einer Unterwürfigkeit, die den Zorn des Himmels besänftigen sollte, dessen Wirkungen man fürchtete. Die menschliche Vernunft, durch allerlei furchtbare Naturereignisse verängstigt und verstört, wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte, um ihren Ängsten zu entkommen. Und wie der Kranke kein Heilmittel unversucht läßt, in der Hoffnung, eines zu finden, das ihm helfen wird, so verfiel das Menschengeschlecht in seiner Verblendung auf den Glauben an ein göttliches Wesen, an hilfreiche Kräfte hinter den Naturerscheinungen. Alles, vom Erhabensten bis zum Niedrigsten, wurde verehrt. Weihrauch dampfte vor Kräutern, Krokodilen wurden Altäre errichtet; Bildsäulen großer Männer, die zuerst über Völker geherrscht hatten, erhielten Tempel und Opferpriester, und in Zeiten allgemeiner Heimsuchungen verdoppelte sich der Aberglaube.

In diesem Sinne haben die deutschen Gelehrten recht mit der Behauptung, daß der Aberglaube bei allen Völkern der gleiche sei. Aber wenn er auch im allgemeinen eine Folge der Leichtgläubigkeit ist, er zeigt sich doch in unendlich verschiedenartigen, dem Geist der Völker entsprechenden Abstufungen. Es scheint mir schwer glaubhaft, daß die tiefsinnigen griechischen Fabeln von Minerva, Venus und Apollo in unserem Lande zur Zeit des Heidentums bekannt gewesen sind. Aber unsere gelehrten Etymologen lassen sich durch Wahrscheinlichkeiten nicht beirren. Sie glauben ihre Mythologie zu adeln, indem sie ihren Göttern griechischen oder römischen Ursprung verleihen; als ob der Name dieser Völker die Götzenverehrung auf eine höhere Stufe stellen könnte und die Narrheit der Griechen mehr wert wäre als bieder Germanen.

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Die Irminsäule war nicht der einzige Gott der Sachsen. Unter einem ihrer Götzenbilder findet sich die Inschrift: „Einst war ich der Heerführer der Sachsen; nun bin ich ihr Gott geworden.“ Angelus191-1 behauptet, sie hätten die Sonne angebetet in Gestalt eines strahlenden Hauptes, und dies Bild habe der Stadt Sonnenburg, wo es aufgestellt war, ihren Namen gegeben. Pomarius191-2 berichtet, sie hätten auch die Venus verehrt, die halbnackt dargestellt worden sei, die linke Brust von einem Pfeil durchbohrt und von drei kleiner als sie gestalteten Grazien umgeben. Man nannte sie Magada, was Mädchen bedeutet. Pomarius versichert, die Stadt Magdeburg, wo ihre Altäre standen, sei nach ihr benannt191-3. Die Ruinen ihres Tempels seien dort noch zu sehen gewesen, bis Tilly sie zerstörte191-4. Das merkwürdigste bei der Verehrung dieser Gottheit waren die Spiele, die ihr zu Ehren gefeiert wurden. Sie bestanden in Kampfspielen, die alle jungen Männer aus der Nachbarschaft veranstalteten. Sie übergaben den Preisrichtern eine Geldsumme zur Ausstattung eines jungen Mädchens, das dem zur Frau gegeben wurde, der es sich beim Lanzenstechen als Preis verdiente. Die Magdeburger Annalen bezeugen, daß diese Spiele als Überreste des Heidentums noch 1279 und 1387 gefeiert wurden.

Mit zunehmendem Reichtum wurden auch die religiösen Gebräuche üppiger. In der ältesten Zeit galten von Menschenhand erbaute Tempel nicht als würdige Heimstätten der Götter; darum verehrte man sie in ihren heiligen Hainen191-5. Aber wie die Sitten sich milderten, wanderten auch ihre Götter in die Städte. Doch verschwand der alte Brauch nicht gänzlich; denn von Karl dem Großen wird berichtet, daß er den Sachsen verbot, Eichbäume anzubeten und sie mit dem Blut der Opfer zu besprengen.

Die Priester jener Zeit waren viel schlauer und durchtriebener als das Volk. Außer ihrem Priestertum übten sie drei Arten von Schwindel aus: sie fabrizierten Orakel und trieben Astrologie und Medizin191-6. So viel List war garnicht erforderlich, um das rohe und dumme Volk zu betrügen. So war es denn auch sehr schwer, eine Religion zu zerstören, die durch so viele abergläubische Gewohnheiten in den Geistern festgewurzelt war. Ganz Deutschland war noch dem Götzendienst ergeben, als Karl der Große und nach ihm Heinrich der Vogler es unternahmen, die Völker zu bekehren. Erst nach vielen vergeblichen Anstrengungen erreichten sie ihr Ziel, und nur dadurch, daß sie den Götzendienst in Strömen von Menschenblut ertränkten.


189-1 Anmerkung des Königs: „Valentin von Eickstet.“ Dieser († 1579) war der Verfasser der Schriften „Epitome annalium Pomeraniae“ und „Annales Pomeraniae.“

189-2 Anmerkung des Königs: „Olaus, Arnkiel.“ Der letztere, Propst zu Apenrade, war Verfasser der Schrift „Der uralten mitternächtischen Völker Leben, Taten und Belehrung“ (Hamburg 1703), deren erster Teil den Untertitel führt: „Cimbrische Heiden-Meligion“; bei Arnkiel findet sich auch die Erwähnung der Schrift Olaus „Von den mitternächtigen Historien.“

190-1 Anmerkung des Königs: „Orosius und Gregor von Tours.“ Dieser hat die „Zehn Bücher fränkischer Geschichte“ geschrieben, jener das Werk: „Historiarum adversus paganos libri VII.“

191-1 Andreas Angelus († 1598), Pastor in Straußberg, Verfasser der Schriften „Rerum marchicarum breviarium“ und „Annales marchiae brandenburgicae“ (1595).

191-2 Johannes Pomarius, Pfarrer in Magdeburg, Verfasser der „Magdeburgischen Chronica“ (1587) und der „Chronica der Sachsen und Niedersachsen“ (1588).

191-3 Anmerkung des Königs: „Magdeburger Annalen.“

191-4 Vgl. S. 44 f.

191-5 Anmerkung des Königs: „Lindenbrog.“ Erpold Lindenbrog († 1616), Verfasser der „Scriptores rerum germanicarum septentrionalium vicinorumgue populorum“ (1609).

191-6 Anmerkung des Königs: „Trithemius und Schmidt.“ Johann Trithemius († 5516) ist Verfasser der 1690 in zweiter erweiterter Ausgabe erschienenen „Annalium Hirsaugiensium“, während Heinrich Schmidt 1740 in Berlin eine „Einleitung zur Brandenburgischen Kirchenhistorie“ veröffentlichte.