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Der König gründete in Berlin eine Akademie für junge Edelleute nach dem Muster der zu Luneville, aber leider hatte sie keinen langen Bestand.

Das Zeitalter brachte keinen einzigen guten Historiker hervor. Teissier wurde beauftragt, die Geschichte Brandenburgs zu schreiben, verfaßte aber statt dessen einen Panegyrikus1. Pufendorf beschrieb das Leben Friedrich Wilhelms2, und um ja nichts zu übergehen, vergaß er selbst die Kanzleischreiber und Kammerdiener nicht, so weit er ihrer Namen habhaft werden konnte. Unsere deutschen Autoren haben, so scheint mir, stets darin gesündigt, daß sie Wesentliches und Nebensächliches nicht schieden. Sie unterließen es, die Tatsachen aufzuklären, und anstatt ihreProsa kurz zu fassen, ergingen sie sich in langatmigen Sätzen mit äußerst verschränkter Wortstellung und zahllosen Beiwörtern. Kurz, sie schrieben mehr als Pedanten denn als Männer von Geist.

Bei diesem gänzlichen Mangel an guten Prosaschriften besaß Brandenburg einen bedeutenden Dichter in Canitz3. Er schuf eine glückliche Übersetzung einiger Episteln von Boileau, schrieb Verse in der Art des Horaz und einige völlig selbständige Werke. Er ist Deutschlands Pope, der eleganteste, korrekteste und wenigst verschwommene Verskünstler in unserer Sprache. Im allgemeinen sind in Deutschland auch die Poeten von der Pedanterie angesteckt. Die Sprache der Götter wird durch den Mund irgend eines obskuren Schulmeisters oder eines liederlichen Studenten geschändet. Und die sogenannten anständigen Leute sind entweder zu faul oder zu stolz, die Leier des Horaz oder die Posaune Virgils zu handhaben. Obgleich aus vornehmem Hause, hielt Canitz Geist und dichterische Begabung nicht für unstandesgemäß und pflegte sie, wie schon gesagt, mit Erfolg. Er hatte ein Amt bei Hofe und schöpfte aus den Sitten der guten Gesellschaft jene Feinheit und Anmut, die uns für seinen Stil einnimmt.

Die deutsche Schauspielkunst war recht minderwertig. Die sogenannte Tragödie ist ein aus Schwulst und niedrigen Späßen zusammengesetztes Monstrum. Die Dramatiker kennen nicht einmal die einfachsten Bühnenregeln. Die Komödie ist noch erbärmlicher, ein rohes, Geschmack, Sitte und Anstand verletzendes Possenspiel. Die Königin unterhielt eine italienische Oper, deren Komponist der berühmte Buononcini4 war. Seitdem hatten wir gute Musiker. Am Hof bestand eine französische Lustspieltruppe, die die Meisterwerke von Moliere, Corneille und Racine aufführte.

Der Geschmack am französischen Theater kam mit der französischen Mode nach Deutschland. Europa war entzückt von dem Stempel der Größe, den Ludwig XIV. all seinem Tun aufprägte, von den feinen Sitten, die an seinem Hofe herrschten, von den großen Männern, die ihn zierten, und suchte das bewunderte Frankreich nachzuahmen. Ganz Deutschland reiste nach Paris. Ein junger Mann von Stand, der sich nicht eine Zeitlang am Hofe von Versailles aufgehalten hatte, galt als Einfaltspinsel. Französischer Geschmack beherrschte unsere Küche, unsere Einrichtung, unsere


1 Vgl. S. 9.

2 Vgl. S. 8.

3 Freiherr Friedrich Rudolf von Canitz (1654 — 1699). Seine Poesien erschienen 1700 unter dem Titel „Nebenstunden unterschiedener Gedichte“. Vgl. Bd. VIII, S. 76.

4 Giovanni Battista Buononcini (geb. 1672, † um 1750).