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Die Irminsäule war nicht der einzige Gott der Sachsen. Unter einem ihrer Götzenbilder findet sich die Inschrift: „Einst war ich der Heerführer der Sachsen; nun bin ich ihr Gott geworden.“ Angelus1 behauptet, sie hätten die Sonne angebetet in Gestalt eines strahlenden Hauptes, und dies Bild habe der Stadt Sonnenburg, wo es aufgestellt war, ihren Namen gegeben. Pomarius2 berichtet, sie hätten auch die Venus verehrt, die halbnackt dargestellt worden sei, die linke Brust von einem Pfeil durchbohrt und von drei kleiner als sie gestalteten Grazien umgeben. Man nannte sie Magada, was Mädchen bedeutet. Pomarius versichert, die Stadt Magdeburg, wo ihre Altäre standen, sei nach ihr benannt3. Die Ruinen ihres Tempels seien dort noch zu sehen gewesen, bis Tilly sie zerstörte4. Das merkwürdigste bei der Verehrung dieser Gottheit waren die Spiele, die ihr zu Ehren gefeiert wurden. Sie bestanden in Kampfspielen, die alle jungen Männer aus der Nachbarschaft veranstalteten. Sie übergaben den Preisrichtern eine Geldsumme zur Ausstattung eines jungen Mädchens, das dem zur Frau gegeben wurde, der es sich beim Lanzenstechen als Preis verdiente. Die Magdeburger Annalen bezeugen, daß diese Spiele als Überreste des Heidentums noch 1279 und 1387 gefeiert wurden.

Mit zunehmendem Reichtum wurden auch die religiösen Gebräuche üppiger. In der ältesten Zeit galten von Menschenhand erbaute Tempel nicht als würdige Heimstätten der Götter; darum verehrte man sie in ihren heiligen Hainen5. Aber wie die Sitten sich milderten, wanderten auch ihre Götter in die Städte. Doch verschwand der alte Brauch nicht gänzlich; denn von Karl dem Großen wird berichtet, daß er den Sachsen verbot, Eichbäume anzubeten und sie mit dem Blut der Opfer zu besprengen.

Die Priester jener Zeit waren viel schlauer und durchtriebener als das Volk. Außer ihrem Priestertum übten sie drei Arten von Schwindel aus: sie fabrizierten Orakel und trieben Astrologie und Medizin6. So viel List war garnicht erforderlich, um das rohe und dumme Volk zu betrügen. So war es denn auch sehr schwer, eine Religion zu zerstören, die durch so viele abergläubische Gewohnheiten in den Geistern festgewurzelt war. Ganz Deutschland war noch dem Götzendienst ergeben, als Karl der Große und nach ihm Heinrich der Vogler es unternahmen, die Völker zu bekehren. Erst nach vielen vergeblichen Anstrengungen erreichten sie ihr Ziel, und nur dadurch, daß sie den Götzendienst in Strömen von Menschenblut ertränkten.


1 Andreas Angelus († 1598), Pastor in Straußberg, Verfasser der Schriften „Rerum marchicarum breviarium“ und „Annales marchiae brandenburgicae“ (1595).

2 Johannes Pomarius, Pfarrer in Magdeburg, Verfasser der „Magdeburgischen Chronica“ (1587) und der „Chronica der Sachsen und Niedersachsen“ (1588).

3 Anmerkung des Königs: „Magdeburger Annalen.“

4 Vgl. S. 44 f.

5 Anmerkung des Königs: „Lindenbrog.“ Erpold Lindenbrog († 1616), Verfasser der „Scriptores rerum germanicarum septentrionalium vicinorumgue populorum“ (1609).

6 Anmerkung des Königs: „Trithemius und Schmidt.“ Johann Trithemius († 5516) ist Verfasser der 1690 in zweiter erweiterter Ausgabe erschienenen „Annalium Hirsaugiensium“, während Heinrich Schmidt 1740 in Berlin eine „Einleitung zur Brandenburgischen Kirchenhistorie“ veröffentlichte.