Oktober.

A.

Oktober 1776

Der König in Potsdam (Sanssouci).

22. Oktober 1776

Schreibt an Voltaire: "Nun sind es bald zwei Monate, seitdem kein Tropfen Honigthau aus Ferney auf das Gestade des Baltischen Meeres gefallen ist. Die seinsollenden Musen und die Einwohner unsers sandigen Parnasses vertrocknen ersichtlich, und man könnte sie schon durch und durch sehen, wenn ihnen nicht gewisse Commentare 151-+, ich weiß selbst nicht über was für ein Buch, in die Hände gefallen wären. etc. Hier haben Sie Verse, die ein Träumer 151-++ noch vor der Ankunft des herrlichen Commentars fabricirt hatte. etc."

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22. Oktober 1776

Der König an d'Alembert: "Da haben Sie einen ganzen Haufen Verse, deren Sie, wie ich glaube, wohl entbehrt hätten. Indeß dachte ich, daß einige ziemlich ernsthafte Betrachtungen der sanften Melancholie, worin ich Sie versenkt glaube, angemessen wären. Diese Verse verlangen nichts, als zerrissen zu werden; es sei nun vor oder nach dem Lesen, das ist alles, was sie verdienen. Ich meiner Seits sehe mit Ungeduld den schönen Herbst, den wir jetzt haben; ich frage: wann wird der Winter kommen? um nachher wieder zu fragen, wann kommt der Frühling, und endlich jener Sommer, der mir das Vergnügen schaffen wird, Sie wiederzusehen?" Der übrige Theil des Briefes enthält mehrere scherzhafte Aeußerungen über den Ritter d' Eon in Frankreich, der zu einem Fräulein d' Eon geworden sein soll. etc.

26. Oktober 1776

Der König an d 'Alembert 152-+: "Man hat ein Sprichwort, mein lieber d'Alembert, welches oft nur zu wahr ist : "Ein Unglück kommt nicht allein." Ich würde sehr in Verlegenheit sein, einen Grund, der sich hören ließe, davon anzugeben; aber darum zeigt die Erfahrung nicht minder, daß es oft zutrifft. Da ist nun die Madame Geoffrin 152-++ mit einer Lähmung befallen; allem An<153>schein nach wird sie bis zum Winter hinschmachten, und dann durch einen zerstörenden Schlagfluß dem Leben entrissen werden.

Es thut mir leid, Ihret- und der Wissenschaften wegen, die sie ehrte. Aber wahrscheinlich wissen Sie, daß sie nicht unsterblich war. Die Todten sind, wenn man es genau überlegt, nicht zu beklagen, sondern ihre Freunde, die sie überleben. Der Zustand der Menschen ist so vielen schrecklichen Unfällen unterworfen, daß man sich vielmehr über den entscheidenden Augenblick, der ihre Mühseligkeiten endigt, erfreuen sollte, als über den Tag ihrer Geburt. Allein die Betrachtungen, die man über sich selbst anstellt, sind betrübend; man fühlt sein Herz zerrissen, wenn man sich auf immer von denen getrennt sieht, die durch ihre Tugenden unsere Achtung, durch ihre Redlichkeit unser Vertrauen, und unsere Zuneigung durch eine unerklärliche Sympathie verdienten, die sich bisweilen bei Neigungen und bei der Denkungsart findet. Ich bin ganz Ihrer Meinung, daß man in unserem Alter dergleichen Verbindungen nicht mehr anknüpft, in der Jugend müssen sie geschlossen werden, durch Umgang gestärkt und durch erprobte Rechtschaffenheit befestigt sein. Wir haben nicht mehr die Zeit, dergleichen Bande zu knüpfen; die Jugend ist nicht dazu gemacht, sich in unsere Denkungsart zu schicken. Jedes Zeitalter hat seine eigene Art und Bildung; man muß sich an seine Zeitgenossen halten, und wenn diese Abschied nehmen, muß man hurtig Anstalt machen, ihnen zu folgen. Ich gestehe, gefühlvolle Seelen können Gefahr laufen, bei wiederholtem Verluste von Freunden völlig zu erliegen, allein welch eine Menge unaussprechlicher Vergnügungen genießen sie auch nicht, die auf immer jenen ehernen Herzen, jenen unempfindlichen Seelen unbekannt sein<154> werden (wiewohl ich zweifle, daß es dergleichen giebt)! Alle diese Betrachtungen, mein lieber d'Alembert, trösten freilich nicht. Könnte ich Todte erwecken, so würde ich es thun. Sie wissen, daß diese schöne Kunst verloren gegangen ist. Wir müssen uns mit dem begnügen, was von uns abhängt. Wenn ich traurig bin, so lese ich das dritte Buch des Lucrez, und das tröstet mich. Es ist ein Mittel auf eine Zeit lang; allein für die Krankheiten der Seele haben wir keine andere. Ich hatte Ihnen vorgestern geschrieben, und, ich weiß nicht wie, mir einen Scherz 154-+ erlaubt. Heute, als ich Ihren Brief las 154-++, machte ich mir deshalb Vorwürfe. -

Meine Gesundheit ist noch nicht völlig wieder hergestellt. Ich habe ein Geschwür am Ohr gehabt, welches mir viele Schmerzen verursachte. Die Natur schickt uns Krankheiten und Kummer, um uns dieses Leben, welches wir verlassen sollen, zu verleiden; ich verstehe sie auf das halbe Wort, und ergebe mich in ihre Rathschlüsse. etc."

Der Minister von Finkenstein, der Prinz Friedrich Leopold von Braunschweig und der Russische Gesandte Fürst Dolgorucky an verschiedenen Tagen beim König in Potsdam.

B.

4. Oktober 1776

Conföderation und ewige Union der 13 vereinigten Staaten von Nordamerika, geschlossen zu Philadelphia.

17. Oktober 1776

Stirbt in Berlin der General-Major Ernst Julius von Koschenbar, 62 Jahr alt.


151-+ La Bible enfin expliquée par plusierurs Aumoniers de Sa Maj. le Roi de Prusse etc. Ettingersche Ausgabe von Volt. oeuv. T. 34, 35.

151-++ Die in diesem Briefe und in dem nachstehenden an d'Alembert erwähnten Verse scheinen verloren zu sein.

152-+ Dieser Brief steht in den hinterlassenen Werken unter dem 26. Oktober 1777. Er gehört aber offenbar hierher ins Jahr 1776, und ist eine Antwort auf d'Alembert's Brief vom 7. Oktober 1776. Auch beweisen es schon die beiden ersten Zeilen von d'Alembert's Antwort vom 14. November 1776, und mehrere Stellen dieses Briefes, so wie sein Schreiben vom 27. November 1777.

152-++ Madame Geoffrin, eine an Geist und Herzen gleich verehrungswürdige Frau; d'Alembert hatte dreißig Jahre ihre Freundschaft genossen. Schon im Jahre 1760, wo seine Glücksumstände unter dem Mittelmäßigen waren, hatte sie ihm ein Einkommen von 600 Liv. ausgesetzt und fügte noch eine Leibrente von 1300 Liv. hinzu, die er nach ihrem Tode genießen sollte. Auf gleiche Weise unterstützte sie noch mehrere Gelehrte, Künstler und viele andere Personen. Sie starb gegen Ende Oktobers 1777. Geboren war sie am 2. Juni 1699.

154-+ Hier muß des Königs Brief vom 22sten gemeint sein, in welchem er über den Ritter d'Eon scherzt.

154-++ Wenn der König hier einen andern Brief von d'Alemdert meint, als den vom 7. Oktober (den er wieder gelesen), so muß er verloren gegangen sein.