Dezember.

A.

Dezember 1770

Der König in Potsdam.

4. Dezember 1770

Der König schickt sein Gedicht : "der Kaiser von Sina" (H. W. VII. 189) an Voltaire.

12. Dezember 1770

Der König an d'Alembert :

- etc. - "Ich schicke Ihnen hier die Träumerei eines gewissen Philosophen, auf welchen Voltaire sehr aufgebracht ist. etc. 32-+ Heute sage ich Ihnen nichts von Philosophie, ich habe Ihnen ganze Packete voll Metaphysik zugeschickt, die Sie in Paris finden werden. Genau betrachtet gleicht diese Materie einem Graben; je mehr man ihn aushöhlt, je tiefer wird er. Aber viel Dinge können uns auch ohne Gefahr unbekannt bleiben. Das Wichtigste ist: wohl leben, einer erträglichen Gesundheit genießen, Freunde besitzen, und eine ruhige Seele haben. Alles dieses wünsche ich Ihnen. etc."

18. Dezember 1770

Der König an d'Alembert :

"Vielleicht finden Sie es sonderbar, daß ich mich in fremde Dinge mische, und als ein sechzigjähriger Schüler mir einfallen lasse, mich auf die Bänke der Doctoren der Metaphysik zu setzen, um Dinge abzuhandeln, wovon die Gelehrtesten um nichts mehr verstehen, als die Ungelehrtesten. Aber eben darum, glaube ich, ist es mir so gut erlaubt, als jedem Andern, über metaphysische Gegenstände zu reden. etc. Ich fange also mit Gott an, und mit dem von diesem Wesen uns zu machenden Begriffe, der noch den wenigsten Widerspruch in sich hat. Ich bin überzeugt, daß dies Wesen nicht materiell<33> sein kann; denn sonst würde es durchdringlich, theilbar und endlich sein. Sage ich : er ist ein Geist, so bediene ich mich eines metaphysischen Ausdrucks, den ich nicht verstehe; denke ich mir ihn nach der Erklärung der Philosophen, so sage ich etwas Ungereimtes, weil ein Wesen, welches keinen Raum einnimmt, wirklich nirgends existirt, und es sogar unmöglich ist, daß ein solches Wesen da sei. Mithin gebe ich die Materie und den reinen Geist auf, und - um einigermaßen einen Begriff von Gott zu haben - stelle ich mir ihn als das Sensorium des Ganzen vor, als die mit der ewigen Organisation aller existirenden Welten verbundene Denkkraft (Weltseele), und hierdurch nähere ich mich weder dem System des Spinoza, noch der Stoiker, die alle denkende Wesen für Ausflüsse des großen allgemeinen Geistes hielten, mit welchem sich ihre Denkkraft nach ihrem Tode wieder vereinigte. Die Beweise für diese Intelligenz oder für dieses Sensorium der Natur, sind folgende: die erstaunenswürdigen Verhältnisse, die sich in der ganzen physischen Anordnung der Welt, der Pflanzen und der belebten Geschöpfe finden; ferner auch die Intelligenz (Denkkraft) des Menschen; denn wäre die Natur roh und geistlos; so hätte sie uns ja etwas mitgetheilt, was sie selbst nicht hat, welches ein grober Widerspruch wäre.

Der Punkt von der Freiheit ist nicht minder dunkel, als der vom Dasein Gottes; hier sind jedoch einige Bemerkungen, die Erwägung verdienen. Woher kommt es, daß alle Menschen ein Gefühl von Freiheit haben; und woher kommt es, daß sie es lieben? Könnten sie jenes Gefühl und diese Liebe haben, wenn wirklich die Freiheit nicht da wäre? Weil man aber mit den Worten, die man gebraucht, einen deutlichen Sinn verbinden muß, so definire ich die Freiheit durch : die Handlung unsers Willens, zufolge welcher wir unter verschiedenen Entschlüssen wählen, und welche unsere Wahl bestimmt. Uebe ich nun diese Handlung zuweilen aus, so ist<34> dies ein Zeichen, daß ich jenes Vermögen besitze. Unstreitig bestimmt sich der Mensch nach Gründen; wenn er anders handelte, wäre er unsinnig; die Idee von seiner Erhaltung und seinem Wohlsein ist einer der mächtigen Beweggründe, die ihn antreiben, sich dahin zu neigen, wo er diese Vortheile anzutreffen glaubt. Indessen giebt es auch edelgesinnte Seelen, die das Rechtschaffene dem Nützlichen vorzuziehen wissen, die ihr Vermögen und ihr Leben freiwillig dem Vaterlande aufopfern; und diese ihre Wahl ist die größtmögliche Ausübung ihrer Freiheit. Sie werden antworten: alle diese Entschlüsse sind eine Folge unsrer Organisation und der äußern Gegenstände, welche auf unsere Sinne wirken. Allein ohne Organe würden wir eben so wenig denken können, als ein Klavier ohne Saiten Töne hervorbringen kann. Ich gebe zu, daß wir alle unsere Kenntnisse durch die Sinne erhalten, allein Sie müssen doch diese Kenntnisse von unsern Gedankenverbindungen unterscheiden, wodurch wir jene Kenntnisse bearbeiten, umstalten und bewundernswürdig anwenden. Sie dringen noch weiter, und führen mir die Leidenschaften an, die in uns wirken. Ja! wenn die Leidenschaften stets die Oberhand hätten, so könnten Sie Ihr Siegeslied anstimmen, aber oft widersteht man denselben. Ich kenne Leute, die sich ihre Fehler abgewöhnt haben. etc. Gäbe es nun eine unbedingte Nothwendigkeit; so würde sich Niemand bessern können. etc. Ich wage es also in diesem System des unvermeidlichen Verhängnisses irgend einen Widerspruch zu vermuthen, denn nimmt man es in aller Strenge an; so muß man die Gesetze, Erziehung, Strafen und Belohnungen für überflüssig und unnütz halten. Ist Alles nothwendig, so findet keine Aenderung Statt. Dagegen aber beweiset mir meine Erfahrung, daß die Erziehung Viel über die Menschen vermag, daß man sie bessern, sie aufmuntern kann, und täglich finde ich mehr, daß die Strafen und Belohnungen gleichsam die Schutzmauern der bürgerlichen Gesellschaft sind. Daher kann ich eine Mei<35>nung nicht annehmen, die den Wahrheiten der Erfahrung zuwider läuft; Wahrheiten, die so einleuchtend, sind, daß selbst die Anhänger des Systems des Fatalismus demselben beständig zuwider handeln, sowohl in ihrem Privatleben, als in ihren öffentlichen Handlungen. Was heißt denn aber ein System, welches uns zu lauter Thorheiten verleiten würde, wenn wir uns buchstäblich darnach richteten?

Wir kommen nun zur Religion, und ich darf mir schmeicheln, daß Sie mich in diesem Punkt für einen unpartheiischen Richter halten. Ich denke, ein Philosoph, der es sich einfalen ließe, dem Volke eine ganz einfache Religion zu predigen, würde Gefahr laufen, gesteinigt zu werden. Fände er irgend noch einen völlig neuen Kopf, der noch für keinen Gottesdienst eingenommen wäre; so möchte es ihm vielleicht gelingen, diesen zu überreden, eine vernünftige Religion den durch so viele Fabeln herabgewürdigten Glaubenslehren vorzuziehen. Allein gesetzt auch, man brächte es dahin, die Religionen der Socrate und der Cicerone in einem Ländchen einzuführen; binnen Kurzem würde ihre Reinheit durch mannigfachen Aberglauben besteckt sein. Die Menschen verlangen Gegenstände, die auf ihre Sinne Eindruck machen, und ihrer Einbildungskraft Nahrung geben. Das sehen wir bei den Protestanten, die einem zu nackten, zu einfachen Gottesdienst anhängen; sie werden oft katholisch, bloß aus Liebe zu den Feiertagen, den Ceremonien und den schönen Kirchenmusiken etc., so z. B. der Landgraf von Hessen, Pöllnitz etc. Gesetzt aber auch, Sie könnten die Menschen so vielen Irrthümern entreißen, so bleibt noch die Frage übrig : ob sie der Mühe, sie aufzuklären, werth sind?"

22. Dezember 1770

Der König nach Berlin, wo er gewöhnlich an den sogenannten Geldtagen, wo der Soldat die Löhnung erhält, und auch zuweilen außer diesen, die Wachtparaden besieht. Es geschah dies in der Regel immer, wenn er mehrere Tage in Berlin blieb, eben so wie in Potsdam.

<36>

23. Dezember 1770

Zum Anfang des Carnevals große Cour und Tafel beim König.

24. Dezember 1770

Der König an Fouque :

"Ich übersende hier ein kleines Merkmal meiner Freundschaft. Sie werden es hoffentlich annehmen, da es von Ihrem ältesten und treusten Freunde kommt. Ich wünsche, daß Sie mit dem neuen Jahre Stimme, Gesicht und Gehör wieder erhalten mögen. etc."

30. Dezember 1770

Der König ertheilt dem neuen Oestreichischen Gesandten von Switen Audienz.

Während des diesjährigen Carnevals berief der König mehrmals den Director Merian und einige seiner Collegen bei der Akademie zur Abendunterhaltung zu sich. (S. Eloge de Merian in den Abhandl. der Akademie 1804-1811, pag. 81).

B.

23. Dezember 1770

Anfang des Carnevals. Die Ordnung wie im vorigen Jahre. (Nachträglich wird bemerkt, daß an den Tagen, wo Redoute ist, der Hof gewöhnlich im Opernhause an fünf Tafeln zu Abend speist).

Es wurden aufgeführt die Opern il Re pastore und Montezuma; das Französische Trauerspiel Phedre et Hypolith, und die Schauspiele Menechmes und L'école des amis.

28. Dezember 1770

Instruction etc. wegen Prüfung aller sich dem Verwaltungsfach widmenden Königlichen Beamten.

28. Dezember 1770

Starb der Polizei-Präsident von Berlin Karl David Kircheisen, 66 1/2 Jahr alt. An seine Stelle trat der ehemalige Regiments-Auditeur Philippi.


32-+ Dieses Gedicht scheint verloren zu sein. d'Alembert nennt es in seiner Antwort: einen reizenden, dichterischen, witzigen und zugleich philosophischen Scherz.