<287> Standpunkt meiner Unwissenheit herabzustimmen, und daß mir die weise Vorsicht ungemein wohlgefällt, womit Sie den metaphysischen Theil behandeln, weil dies die einzige Art ist, diese delikate und gefährliche Materie vorzutragen, daß man nicht einen ganzen Schwarm von Doctoren mit Anathemen und Verdammungen wider sich empört. Das Fach der schönen Wissenschaften leidet freiere Untersuchung; man darf über Geschichte, Dichtkunst und Musik Alles sagen, was man will, ohne die Inquisition zu fürchten, und da der Geschmack verschieden ist, so wird man schwerlich zwei Personen antreffen, deren Empfindungen durchgehends übereinstimmten. Ich z. B. habe mir es bei dem Studium der Geschichte zur Gewohnheit gemacht, sie von ihrem Anfang aufzunehmen und bis auf unsere Zeiten zu verfolgen; so wie man erst Grundsätze feststellt, ehe man Schlüsse daraus herleitet. In der Dichtkunst liebe ich Alles, was das Herz und die Einbildungskraft rührt, es sei Politik oder Fabel, und es würde mir leid thun, wenn man die Mythologie, die so viele Bilder liefert, daraus verbannen wollte. Ich will damit nicht sagen, daß man abgenutzte Bilder mißbrauchen soll; aber welche fruchtbare Quelle für ein schönes Genie gewährt diese Menge reizender Allegorien, in welche die Alten ihre physischen Kenntnisse einhüllten. Wenn Barbaren, wenn schwärmerische Priester die Bilder der Gottheiten des Heidenthums zerstörten, sollen denn auch Gelehrte im achtzehnten Jahrhundert gefühllos genug sein, um alles auch noch so Sinnreiche zu zertrümmern, was die Zeiten der Künste und des Geschmacks hervorgebracht haben? Kurz, des Dichters erste Pflicht ist : zu gefallen, dafür muß es ihm aber auch erlaubt sein, sich jedes Hülfsmittels zu bedienen, wenn er nur seinen Zweck erreicht.

Ich unterfange mich zwar nicht, zu sagen : daß ich einige dialettische Sophismen in den Gedanken eines großen Geometers über die Musik angetroffen habe; ich denke aber, daß ein unrichtiger Sprachgebrauch darin herrscht, und daß vielleicht die verschie-