Der König an d'Alembert
(6. Januar 1781)

Um Ihnen einen Beweis meiner Seelenruhe zu geben, sende ich Ihnen eine kleine Schrift311-2, deren Zweck ist, die Fehler der deutschen Literatur und die Mittel zu ihrer Verbesserung anzugeben. Grimm311-3, ein geborener Deutscher, kann Sie über die deutsche Sprache informieren. Sie haben sie nicht gelernt, und bisher lohnte sich das auch nicht; denn eine Sprache verdient nur wegen der guten Schriftsteller er, lernt zu werden, die ihr zur Zierde gereichen, und daran fehlt es uns völlig. Aber vielleicht werden sie eines Tages erscheinen, wenn ich im Elysium herumspaziere, wo ich dem Schwan von Mantua311-4 die Idyllen eines Deutschen namens Geßner und Gellerts Fabeln 311-5 darbringen werde. Sie werden mich auslachen, well ich mich bemüht habe, einem Volke, das sich bisher auf nichts verstanden hat als aufs Essen, Trinken, Lieben und Kämpfen, einige Begriffe von Geschmack und attischem Salz beizubringen. Trotzdem wünscht man sich nützlich zu machen. Oft treibt ein Wort, das in fruchtbares Erdreich fällt, Keime und trägt unverhoffte Früchte.


311-2 Die Abhandlung „Über die deutsche Literatur“ (vgl. S. 74 ff.).

311-3 Friedrich Melchior Grimm (1723—1807), der bekannte Mitarbeiter an der Enzyklopädie und Herausgeber der „Correspondance littéraire, philosophique et critique“, die eine vollständige Geschichte der französischen Literatur in den Jahren 1753 bis 1790 bildet.

311-4 Virgil.

311-5 Vgl. S. 308.