<76> hat Philosophen hervorgebracht, die den Vergleich mit den alten aushalten, ja, sie in mehr als einer Hinsicht übertroffen haben. Ich behalte mir vor, in der Folge darauf zurückzukommen.

Was die schöne Literatur angeht, so wollen wir unsre Armut nur ruhig zugeben. Alles, was ich Ihnen einräumen kann, ohne mich zum niedrigen Schmeichler meiner Landsleute zu machen, ist dies: Wir haben in der kleinen Gattung der Fabeln einen Gellert gehabt, der sich neben Phädrus und Äsop zu stellen gewußt hat. Die Dichtungen von Canitz1 sind erträglich, nicht wegen ihrer Diktion, sondern eher als schwache Nachahmung des Horaz. Nicht übergehen will ich die Idyllen von Geßner2, die einige Anhänger gefunden haben. Erlauben Sie mir jedoch, den Werken des Catull, Tibull und Properz den Vorzug zu geben.

Gehe ich die Historiker durch, so finde ich nur die deutsche Geschichte von Professor Mascov3, die ich als die wenigst unvollständige anführen kann. Soll ich ehrlich vom Verdienst unsrer Redner sprechen? Da kann ich nur den berühmten Quandt4 aus Königsberg vorführen, der das seltene und einzige Talent besaß, seiner Sprache Wohllaut zu verleihen. Und ich muß zu unsrer Schande hinzufügen, daß sein Verdienst weder anerkannt noch gefeiert wurde. Wie kann man von den Menschen verlangen, daß sie sich Mühe geben, sich in ihrem Fache zu vervollkommnen, wenn der Ruhm nicht ihr Lohn ist?

Ich füge zu den Genannten noch einen anonymen Autor hinzu, dessen ungereimte Verse ich las5. Ihr Tonfall und Wohlklang kam von einem Gemisch von Daktylen und Spondäen. Sie hatten Sinn und Verstand, und mein Ohr wurde angenehm berührt von wohlklingenden Lauten, die ich unsrer Sprache nicht zugetraut hätte. Ich gestatte mir die Vermutung, daß diese Art des Versbaus für unsre Sprache vielleicht die angemessenste und überdies dem Reim vorzuziehen ist. Wahrscheinlich würde man Fortschritte machen, wenn man sich die Mühe gäbe, sie auszubilden.

Vom deutschen Theater will ich garnicht reden. Melpomene ist nur von sehr rauhen Liebhabern umworben worden. Die einen liefen auf Stelzen, die andern krochen im Schlamme, aber alle verstießen gegen ihre Gesetze. Sie wußten weder zu fesseln noch zu rühren und wurden von ihren Altären gestürzt. Thaliens Liebhaber waren glücklicher. Sie haben uns wenigstens ein wirkliches, bodenwüchsiges Lust-


1 Freiherr Friedrich Rudolf von Canitz (1654—1699), dessen Poesien 1700 unter dem Titel: „Nebenstunden unterschiedener Gedichte“ erschienen.

2 Salomon Geßner (1730—1788). Seine „Idyllen“ erschienen 1756 und 1772.

3 Johann Jacob Mascov (1689—1761), Professor der Geschichte in Leipzig. Offenbar denkt der König nicht an dessen „Geschichte der Teutschen“, die schon mit dem Ausgang der Merowinger schließt, sondern an die 1747 erschienene und später erweiterte „Einleitung zu den Geschichten des Römisch, Teutschen Reichs bis zum Absterben Kaiser Karls VI.“.

4 Johann Jakob Quandt (1686—1772), Oberhofprediger in Königsberg. Dort hörte ihn Friedrich im August 1739 und dann im Herbst 1740, wo Quandt die Huldigungspredigt hielt.

5 Früher bezogen auf die Elegie „Die Mädcheninsel“ von Johann Nikolaus Goetz (1721—1781). Es handelt sich aber wahrscheinlich um Ewald Christian von Kleists Gedicht „Der Frühling“, das 1749 ohne Nennung des Verfassers erschienen war.