<30>nisse es erfordern. Daraus folgt, daß England mehr als jeder andre Staat der Reform seiner Rechtsverhältnisse bedarf.

Wir haben nun noch ein paar Worte von Deutschlands sagen. Als die Römer unser Land eroberten, erhielten wir römisches Recht und behielten es auch, da die Kaiser Italien verließen und den Sitz ihres Reichs nach Deutschland verlegten. Trotzdem gibt es keinen Kreis, kein Fürstentum, so klein es auch sei, wo nicht irgend ein Gewohnheitsrecht herrschte. Diese Rechte haben mit der Zeit Gesetzeskraft erlangt.

Nachdem wir gezeigt haben, wie die Gesetze bei den meisten kultivierten Völkern zur Einführung gelangten, wollen wir noch bemerken, daß sie überall, wo sie unter Zustimmung der Bürger eingeführt wurden, von der Notwendigkeit diktiert worden sind. In den eroberten Ländern dagegen gaben die Sieger den Besiegten ihre Gesetze. Überall aber wurden sie in gleicher Weise nach und nach vermehrt. Erstaunt man auf den ersten Blick, daß die Völker nach so verschiedenen Gesetzen regiert werden können, so legt sich doch die Verwunderung, wenn man erkennt, daß die Gesetze dem Wesen nach einander fast gleichen: ich meine die Strafgesetze zum Schutz der Gesellschaft.

Untersuchen wir das Verfahren der weisesten Gesetzgeber, so sehen wir ferner, daß die Gesetze der Regierungsform und dem Geiste des Volkes, für das sie bestimmt sind, angepaßt sein müssen, daß die besten Gesetzgeber das Gemeinwohl im Auge hatten und daß im großen und ganzen, einige Ausnahmen abgerechnet, die Gesetze die besten sind, die der natürlichen Billigkeit am nächsten kommen.

Lykurg, der einem ehrgeizigen Volk vorstand, gab ihm Gesetze, die es eher zu Kriegern als zu Bürgern erzogen. Er verbannte das Gold aus seiner Republik, weil die Gewinnsucht von allen Lastern der Ruhmbegierde am stärksten entgegensieht.

Solon sagte selbst, er habe den Athenern nicht die vollkommensten Gesetze gegeben, sondern die besten, die sie vertragen könnten. (Plutarch, „Leben Solons“.) Er zog nicht nur den Geist des Volkes, sondern auch die Lage Athens am Meer in Betracht. Deshalb setzte er Strafen auf Müßiggang, ermunterte den Gewerbfieiß und verbot Gold und Silber nicht, weil er voraussah, daß sein Freistaat nur durch blühenden Handel groß und mächtig werden könnte.

Die Gesetze müssen zum Geiste der Nation passen oder man darf nicht auf ihre Dauer hoffen. Das römische Volk verlangte eine Demokratie und haßte alles, was diese Regierungsform ändern konnte. Daher entstand so mancher Aufruhr, um die Lex Agraria durchzusetzen; denn das Volk hoffte, durch die Verteilung des Grundbesitzes würde wieder eine Art von Gleichheit in den Wohlstand der Bürger gebracht werden. Daher auch die häufigen Aufstände wegen der Schuldentilgung; denn die Gläubiger, die römischen Patrizier, behandelten ihre Schuldner, die Plebejer, unmenschlich. Nichts aber macht den Unterschied der Stände verhaßter als Tyrannei, die die Reichen ungestraft gegen die Armen ausüben.