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8. Kapitel

Von denen, die durch Verbrechen zur Herrschaft gelangten.

Die „Philippika“ von La Grange1 gelten für eine der schonungslosesten Schmähschriften, die je verfaßt sind, und nicht mit Unrecht. Meine Einwendungen indessen gegen Machiavell haben mehr Wucht als die Angriffe La Granges, ist doch sein Pamphlet gegen den Regenten von Frankreich im Grunde nur eitel Verleumdung; was ich aber gegen Machiavell vorbringe, sind Wahrheiten. Ich bediene mich ja zu seiner Widerlegung seiner eigenen Worte. Was könnte ich Ungeheuerlicheres von ihm aussagen, als daß er Regeln aufstelle „für die, die durch Verbrechen zur Herrschaft gelangen“? So seine Überschrift zu dem vorliegenden Kapitel!

Wenn Machiavell in einem Verbrecherseminar Lehrvorträge hielte, wenn er in einer Hochschule für Verrat ein Lehrgebäude der Treulosigkeit entwerfen wollte, dann wäre eine Behandlung solchen Stoffes nicht allzu verwunderlich. Nun aber spricht er zu der Gesamtheit der Menschen; denn ein Autor, der seine Arbeit drucken läßt, wendet sich an die Welt und vorzugsweise an diejenigen, welche die Besten sein sollen, da sie zu Herrschern über andere berufen sind. Kann's da also eine schändlichere, unverschämtere Zumutung geben, als solchen Lesern gute Lehren zu erteilen über Verrat, Falschheit, Meuchelmord und sonstige Untaten? Zum Wohle der Menschheit wäre es vielmehr wünschenswert, daß Erscheinungen wie ein Agathokles2 und Oliverotto da Fermo, die Machiavell mit Behagen anführt, ein für allemal unmöglich wären, oder daß man wenigstens ihr Andenken für immerdar aus dem Gedächtnis der Menschen tilgte.

Nichts wirkt verführerischer als das schlechte Beispiel. Das Leben eines Agathokles oder Oliverotto da Fermo ist geeignet, in einem Menschen mit dem dunklen Hang zum Verbrechen diesen gefährlichen Samen, den er ahnungslos in seinem Innern birgt, zur Entwicklung zu bringen. Wie viele junge Leute haben sich durch das Lesen von Romanen ihr Vorstellungsleben verderbt und sehen nur noch, denken nur noch wie Gandalin und Medor3. Es gibt in der Gedankenwelt etwas Ansteckendes, wenn ich mich so ausdrücken darf, was sich überträgt von Geist zu Geist. So führte


1 Die „Odes philippiques“ von Joseph de La Grange-Chancel (1677—1758) waren gegen den Regenten Herzog Philipp von Orleans gerichtet.

2 Tyrann von Syrakus (361—289).

3 Gestalten des französischen Ritterromans „Amadis“.