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11. Rechtfertigung der Güte Gottes
(4. Dezember 1737)

Der Du in scheu verehrtem Walten
Das Weltenganze ausgedacht,
Der Du, aus Nichts es zu gestalten,
Nur brauchtest eines Wortes Macht —
Göttlicher Schöpfer dieser Erde!
Daß meinem Dank Genüge werde,
Laß mich, von reiner Glut erfüllt,
Bis aufwärts zu des Himmels Pforten
Verkünden laut an allen Orten,
Wie Du so gütig und so mild.

Nur Du in nimmermüder Gnade
Erfandest würdig mich des Seins
Und riefest mich, nach ewigem Rate,
Zum Leben in die Welt des Scheins.
Auf gingen meine Augensterne
Durch Dich allein der Strahlenferne;
Doch ohne Dich, im Urnachtschoß,
In geist- und körperloser Stille,
Empfing ich niemals Wesensfülle,
Der Liebe nimmer ich entsproß.

Wie mir das ungetrübte Denken
Die besten Deiner Gaben nennt,
So weiß es auch den Sinn zu lenken
Vom Erdenstaub zum Firmament.
Noch im geringsten Deiner Werke
Enthüllt es mir des Gottes Stärke,
Den Abglanz seiner Schöpferpracht.
<33>Mein Knie will sich vor einem Wurme
Fast tiefer als im Donnersturme
Anbetend beugen Deiner Macht.

Die Welt, das herrliche Gebilde,
Das alle Wünsche uns gewährt,
Die Güter, die uns Deine Milde
Zu Brauch und Freude hat beschert,
Die ungezählte Lebenswonne,
Durchstrahlt von Deiner Gnadensonne —
Ein jedes schufst Du uns zulieb.
Und Deine Weisheit ohne Ende
Gibt fort und fort in meine Hände,
Was noch zu wünschen übrig blieb.

Dem Überflüsse sieht entsteigen
Man aller schönen Künste Schar.
Die Wissenschaft führt an den Reigen.
Sie ist der Pfeiler. Wunderbar
Wölbt sich auf ihm zum Dom das Ganze.
Hier stellt die Kunst mit farbigem Glanze
Entfernte Dinge vor mich hin;
Indes die hohen Schwestern beide,
Musik und Dichtung, dort mit Freude
Zugleich erfüllen jeden Sinn.

Urewiger! Wer kann erkennen
Der unsagbaren Gaben Zahl?
Die wir am tiefsten elend nennen,
Trifft noch Dein voller Segenssirahl.
Und wenn dereinst mit einem Schlage
Der grausen Hippe unsre Tage
Der Tod für sich zur Ernte will,
Niemals ist es sein blindes Wüten,
Nur Du, uns väterlich zu hüten,
Setzt unsern Leiden da ein Ziel.

Es kann der Mensch, aus Ton geschassen,
An Gliedern und an Sinnen reich,
Sich sieghaft nie der Zeit entraffen,
<34>Ihn bildete Natur zu weich.
Stets müssen ihm die Jahre fliehen.
Sie treibt der zarten Jugend Glühen,
Sie treibt das stumpfe Alter fort,
Daß sein vergängliches Erscheinen
Zerstießt in dunklen Schattenhainen,
Wie jener Rauch im Winde dort.

Wenn meine hüllenschwere Seele
Dem irdischen Gesetz sich neigt
Und über seine düstre Schwelle
Zum Totenreich hinuntersteigt,
Du großer Gott! Dein Allerbarmen
Hält dann uns noch in seinen Armen.
Was mich dem Untergange weiht,
Läßt Deine Weisheit neu erkennen.
Darf man das Nichtsein Unglück nennen?
Ach! Wer nicht ist, fühlt nimmer Leid.

Wenn aber meine ew'ge Seele
Der Parzen Schere sich entringt
Und aus des Grabes Schreckenshöhle
Zu neuem Sein geläutert dringt,
Wie herrlich dünkt mich dieses Leben;
Entzücken will mich still durchbeben,
Mir wird ein Gott voll Güte kund;
Er läßt in seine Ewigkeiten
Die Seele, so zerbrechlich, gleiten
Nach göttlichem Erkenntnisgrund.

Schon nahe ich den Himmelshöhen
Und sehe Gottes Angesicht;
Die Schleier, die ihn dicht umwehen,
Verbergen ihn dem Herzen nicht.
Nur Güte, Güte ist sein Wille,
Und angestrahlt von solcher Fülle
Des Lichtes ist mein Herz erglüht.
Ja, dieser Gott liebt seine Kinder,
Sie, deren reiner Geist nicht minder
In Leid wie Freude ihn nur sieht.
<35>Mag ein Scholastiker verbissen,
Unduldsam, grausam von Natur,
Voll falschem Eifer, hohnbestissen,
Gott schildern als Tyrannen nur!
Doch borgt aus diesen Bitterkeiten,
Die ihm die Galle muß bereiten,
Sein Schwachsinn alle Farben aus:
Das Gift, das unrein solche Zungen
Hervorgespien zu Lästerungen,
Brandmarkt nur ihres Herzens Graus.