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10. An Antoine Pesne29-1
(November 1737)

Welch Wunder trifft mein Auge! Pesne, dich hebt
Zum Rang der Götter deines Pinsels Stärke.
Alles in deinen Bildern lacht und lebt,
Dein Können übertrifft der Schöpfung Werke.
Aus deiner Hintergründe Schatten steigt
Dein Gegenstand, geklärt von deinen Händen.
Dies ist der Zauber, den die Kunst uns zeigt;
Du weißt durch Skizzen wie Porträts zu blenden.
Wenn einen Helden,29-2 den das Volk verehrt,
Du malst mit Augen, die lebendig glänzen,
Sieht man ihn feurig, wie mit Lorbeerkränzen
Er einst aus Schlachten siegreich heimgekehrt.
Wenn du der jungen Iris29-3 frische Pracht
Darstellst und ihrer Schönheit seltne Gaben,
Fühl' ich an deinen Farben, welche Macht
Bei meiner Jugend Reiz und Anmut haben.
<30>Doch kann am Stoff dein Werk man wachsen sehn;
Des Urbilds Schönheit lebt in deinen Bildern.
Um unsre hehre Königin zu schildern,
War kein Geringrer gut genug als Pesne.
Die Hoheit ihrer Stirn, ihr fürstlich Wesen,
Ihr sanfter Reiz, ihr Blick, der Zutraun weckt,
Dies all' ist in dem Meisterbild zu lesen,
Bis auf die Tugend, die den Frevler schreckt,
Dem Schuldigen verzeiht und edelmütig
Den Tränen des Bedrückten Halt gebeut;
Ich glaube diese Hand zu sehn, die gütig,
Auch aus der Ferne, Segen rings verstreut.

Bei solchem Anblick, der mir göttlich deucht,
Fühl' Andacht ich und Rührung mich durchdringen,
Wird vor Ergriffenheit mein Auge feucht.
Wie? Kann uns bloße Farbe so bezwingen,
Daß durch die Täuschung deiner Kunst sogleich
Nach kurzem Blick der Geist gerät ins Feuer?
Pesne, wenn nicht Tugend, auch im Bild uns teuer,
Ied'Konterfei dir schmückte doppelt reich,
Dann würd' ich, hadernd mit des Urbilds Fehlern,
Mein Lob für deine Pinselführung schmälern.
Der schöne Stoff läßt deine Kunst erstrahlen,
Apelles nur kann Alexander malen.
Mag auch mit ganzen Könnens Aufgebot
Ein Künstler eines Kaisers Standbild prägen,
Das des Tiberius stürzt man, wenn er tot,
Das des Augusius wird die Liebe hegen.
So schätzte man des Marmors Kunsivollendung,
Nur wenn er guter Kaiser Züge trug.
Für Götzen hielt die wütende Verblendung
Siegreicher Christen, was ihr Haß zerschlug,
Und um des Phidias Namen unbekümmert
Zerbrach man jede Büste, die man fand;
So ward in jener Zeiten Sturm und Brand
Die hehrste Kunst des Altertums zertrümmert.

Die Wahl des Stoffs entscheidet deine Siege;
Glaub' nicht, daß ich verklage dein Talent,
<31>Und daß ich üblen Launen unterliege,
Verkleinernd, was der Ruhm dir zuerkennt.
Doch malte Lancret mir der Hölle Graus,
Meinst du, mich würde sein Geschmack ergetzen,
Mein Auge hielte Greuel und Entsetzen
Des finstren Tartarus befriedigt aus?
Der Architekt braucht gut Gestein zum Bauen;
Den Maler, wenn ein guter Stoff ihm fehlt,
Trifft Hohn; du, von den Grazien auserwählt,
Laß uns verführerische Reize schauen,
Damit des weilenden Betrachters Blicke
Vor deinem Bild geheime Lust bestricke.
Solch holder Vorwurf bringt Gemälden Heil,
Wenn auch nicht dort, wo Weihrauch ihnen streuen
Die falschen Eiferer, die Sonnenscheuen,
Beschränktheit, Aberglaube, Vorurteil.
Ja, deiner Kunst muß ich Bewundrung spenden;
Doch sie vergöttern? Lachend sag' ich nein.
Laß deine Heiligen mit dem Glorienschein
Und übe dich an lichtren Gegenständen;
Mal' uns der Amaryllis keuschen Tanz,
Halbnackte Grazien, Nymphen waldumsponnen,
Und denk', daß deine Kunst, so reich an Wonnen,
Einzig der Liebe Dasein dankt und Glanz.


29-1 Vgl. Bd. VIII, S. 222.

29-2 Fürst Leopold von Anhalt-Dessau (vgl. das Bild in Bd. II, S. 256).

29-3 Elisabeth Dorothea Juliane von Walmoden, Hofdame der Kronprinzessin, seit 1740 mit Major Hans Jobst Heinrich Wilhelm von Buddenbrock vermählt.