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9. Ländliches und höfisches Leben
Ein Vergleich
(30. Oktober 1737)

Daheim in meiner selbstgewählten Klause,
In der ich dank besondrer Gunst nun Hause,
Das Schicksal aller derer mir betrachtend,
Die, eingeschläfert völlig von Chimären,
Des Irrtums voll und wie die Sklaven schmachtend,
Der Erdengötter eitle Größe ehren,
Vermess' ich mich, das Leben zu genießen,
Furchtlos vor Neid, nicht von dem Gift geschreckt,
Das tückisch, von der Großen Gunst gedeckt,
Verleumdung dürft' auf meine Unschuld gießen.

Erwach' ich früh zur schönen Jahreszeit,
Seh' Phöbus ich am Horizonte strahlen,
Die Früchte, Reben rings mit Gold bemalen;
Da sehe ich die Bienen werkbereit,
Den Honig naschend, summend überm Beet,
Das tausendfache Blumenpracht besät.

Den Schatten suche ich des dichten Hains,
Den Rand des Bachs und schöpf' aus alten Werken,
<26>Aus Griechen und aus Meistern des Lateins,
Mein Wissen zu vermehren, mich zu stärken.
Horaz les' ich, Catull und Lucian,
Hortensius' Nebenbuhler,26-1 Julian.
Stets aber ist's der herrliche Voltaire,
Der meine Langeweile mir zerstreut;
Du glücklicher Virgil! Und du, Homer!
Daß ihr nicht erst nach ihm geboren seid.

Dann folgt ein einfach Mahl in schattiger Laube,
Das Jonard26-2 artig zu kredenzen weiß.
Der Fleck, im reichen Schmuck von Frucht und Traube,
Er sieht an Preis wohl, doch an Schönheit nimmer
Dem prunkvoll kostbarsten Palaste nach.
Wie schwindet da des Thrones Glanz und Schimmer,
Vergleichst du ihn mit einem Silberbach!
Von Freunden eine Schar, ganz auserkoren.
Abhold der Heuchelei und wie geboren
Zu Ernst und Scherz: die bildet meinen Kreis.

Da füllt Philosophie gar manche Stunde;
Bald fesselt Newton und die Sternenkunde,
Bald Dichtkunst, Malerei uns ganz,
Bald freun wir uns an der Geschichte Themen,
Bald sinnen wir ob den Problemen
Der Größe Roms und Griechenlands.
Drauf, voll von Liebe, Versen und von Lust
Und von der holden Tollheit ganz bezwungen,
Die Ernst und Herbe scheucht aus jeder Brust,
Sprühn die von edlem Wein gelösten Zungen,
Lebendig zwar, doch Maß und Grenze wahrend,
Ein Feuerwerk, mit Geist die Laune paarend;
An diesem stillen Fleckchen, von Banausen
Und Gecken unbehelligt, sehe ich
Die zarte, unverfälschte Freundschaft Hausen.
In unser Heiligtum drängt nimmer sich
Ein einstudiert Gesicht; Verstellung, List,
Sie bleiben ausgeschlossen: was er ist,
<27>Ein jeder kann es sein, von Furcht befreit,
Daß böse Hand ihm böse Züge leiht.
Das Lachen ist hier völlig unverwehrt;
Jedoch zum Schutze vor den scharfen Bissen,
Mit denen die Satire gern versehrt,
Sind ihr die argen Zähne ausgerissen.

Wird's Abend, so verschmelzen ihre Klänge
Euterpe, Polnhymnia, die hehren,
Die süße Harmonien uns bescheren.
Noch tönen in den Ohren die Gesänge,
Das Echo weckend von dem neuen Orpheus,
Da weiht uns schon die Ruh dem Reich des Morpheus.
Und so, von tiefem Frieden rings umhegt,
Vollende hier ich meine Lebensbahn,
Erwarte stolzen Sinnes, unbewegt
Der Schere Schnitt, von Atropos getan.

Dem Sklaven weh, der nicht die Stadt verläßt,
Den schwächlich an den Hof die Kette fest
Gefesselt hält, aus Liebe oder Pflicht!
Er lernt, daß, wechselnd wie des Mondes Licht,
Das Schicksal oft die Günstlinge erhebt
Und dann in jähem Sturze sie begräbt.
Der flüchtigen Laune Opfer ist er heute
Und morgen eines leichten Argwohns Beute.
Geschäftig stets, fällt ihn sein Feind mit Tücke,
Errichtet aus dem wandelbaren Glücke
Für seine Bosheit sich ein Siegeszeichen.
Erliegt er nicht — ein Glück ist's sondergleichen —
So wird ihn bald der Ehrgeiz ganz verblenden
Und alles nur zu seinem Unheil wenden.
Des Höflings feiler, niedrer Eigennutz,
Die Politik mit ihrem Schutz und Trutz
Gebieten auf die Freundschaft ihm Verzicht.
Den macht sophistische Moral zum Wicht,
Der sich zu seines Feindes Füßen windet,
Feig, unterwürfig, angstvoll und erpicht,
Wo Vorteil er und wo er Rache findet.
Die Unterwürfigkeit, der äußre Schliff:
<28>Sie sind für ihn der einzige Inbegriff
Der Götter, die ihm die Gesetze geben.
Die dürre Klugheit, die ein jedes Wort
Erst wägt, begleitet ihn von Ort zu Ort.

Ach, Unglückseliger! Lerne erst zu leben!
Wie lang noch willst du langsam so verderben?
Die Größe schützt dich nicht vor Leid und Sterben,
Und unsrer Tage kurz bemeßne Spannen,
Sie fliehen, ach! nur allzu schnell von bannen.
Und ist die Frist, die einzige Frist vergangen,
Vergebens wirst du sie zurückverlangen.
Auf! Zu den heitern Freuden, die entzücken,
Durch Frohsinn, Spiel und Liebe hold beglücken!
Fort mit den Göttern, die von Schranzen blind,
Von Hochmut, Ehrgeiz angebetet sind!
Nie werd' ich, ihre Gnade zu erringen,
Nur das geringste Opfer ihnen bringen.

O der du meine einzige Gottheit bist,
Du Gott der Freude, lohne meine Treu!
Gib mir, was Gipfel aller Freuden ist,
O gib, daß mitten im Genusse neu
Ein seliges Vergessen und Entrücken
Zu immer neuen Wünschen mich entzücken!


26-1 Cicero.

26-2 Der Haushofmeister Friedrichs.