<106>Weit eher hätt' im Drang verwegner Taten
Nisus den Freund Eurnalus1 verraten,
Sich Orpheus drein gefügt, auf immerdar
Eurydice vereinsamt zu vermissen,
Hätte Penelope, fern von Ulyssen
Sein herrenloses Reich mit ihrer Hand
Verschleudert an den ersten besten Fant,
Als daß dein unvergleichlicher Marquis,
Ein zweiter Seladon, ein treuer Schäfer,
Wenn Dämmerung zur Ruhe lockt die Schläfer,
Nur eine halbe Nacht sich dir entzieh'.

Für deine Federn, draus der Moder haucht,
Für deine schmierig abgeschabten Tücher,
Den Vorhang, löcherig und angeraucht,
Die Kissen, deren Überzug verbraucht,
Verließe sicherlich dein Herr die Bücher,
Die Freunde, die Verwandten, Geld und Güter,
Als deiner muffigen Matratzen Hüter.

Gibt's ein Gefühl, das dauernd sich bewahrt?
Im Rausch zu schwinden ist der Liebe Art;
Zieht irgendwo den zärtlichsten Gedanken
Die Zeit in fünfzig Jahren keine Schranken?
Ward Amor je gesehn mit grauem Bart?
O Bett, nur du — beinah möcht' ich drum zanken -
Zwangst unsern d'Argens, nicht von dir zu wanken.

Doch welch ein Wunder! Die geschwinde Fahrt
Der Zeit, bei der sonst alles geht in Scherben,
Läßt nur noch glühender ihn um dich werben:
Denn vormals hat er höchstens nur die Nacht
In deiner Modergrube zugebracht;
Doch jetzt, nachdem in dich verliebt zum Sterben
Er fähig ward zu jedem Wagestück,
Hältst du bei Nacht ihn und bei Tag zurück.

O Götter, die von je mein Herz verehrte.
Unsterblicher Apoll, des Pindus Gott,


1 Ein berühmtes Freundespaar aus Virgils „Äneis“.